Sicherheitstrakt an Vorzugslage

Besuch in Berns Botschaftsaquartier

In Berns Nobelquartier, dem Kirchenfeld, befinden sich Dutzende von Botschaften. Meist ist das kein grosses Problem. Doch bei einigen wird die gute Nachbarschaft strapaziert – wie der Fall der Villa Bomonti zeigt, die von der Volksrepublik China gekauft wurde.

von Simon Wälti

Es ist Berns «gated community»: Länder wie China, Türkei, Israel, USA oder Russland haben das volle Programm. Sicherheitszäune und Absperrgitter, Videokameras, Botschaftsschützer, Poller, eigenes Sicherheitspersonal und einen Antennenwald auf dem Dach oder an einem anderenweniger gut einsehbaren Ort. Geht es um sichere Kommunikation oder ist es ein Horchposten? Andere Botschaften wiederum wirken wie ausgestorben: Lebt und arbeitet da überhaupt jemand? Ist es eine Basis für Ausserirdische? Wiederandere sindoffen und kommunikativ, Nachbarländer der Schweiz etwa oder beliebte Reisedestinationen.

Dass die Volksrepublik China die Villa Bomonti gekauft und trotz denkmalpflegerischer Bedenken und anfänglich fehlender Baubewilligung umgebaut hat, sorgt im Quartier für Murren. Nun führen Bern bleibt grün, der Kirchenfeld-Brunnadern-Elfenau Leist sowie Anwohner Beschwerde. Man fragt sich, ob es dem internationalen Gewicht des Landes China geschuldet ist, dass die Zweckentfremdung des Gebäudes so einfach «durchgewinkt» wurde. Man habe die Interessen des Quartiers politischen Erwägungen geopfert, heisst es. Die Villa war für fünf Millionen Franken ausgeschrieben, der Kaufpreis ist nicht bekannt.

Klaustrophobisch: Der Bomonti-Weg.

Klaustrophobisch: Der Bomonti-Weg.

Gut gesichert: Der Eingang zum Kalcheggweg.

Gut gesichert: Der Eingang zum Kalcheggweg.

Etwa 700 diplomatische Mitarbeitende leben in der Bundesstadt, hinzu kommen gut 800 Familienangehörige. Die Diplomaten sind von allen Steuern befreit. Die Räume der Botschaften sind nach dem Wiener Übereinkommen von 1961 «unverletzlich» – sie dürfen nur mit der Zustimmung des Botschafters betreten werden. Das gilt auch für die Polizei. Und auch für Bauinspektorat und Denkmalpflege. Bei einer Besichtigung der Villa Bomonti wurde ihnen der Zutritt zum Obergeschoss verwehrt.

Eine Welt hinter Zäunen, die wenig von sich preisgibt

Der Kalcheggweg, der hinter der Petruskirche verläuft, ähnelt einem Hochsicherheitstrakt. Hier befindet sich auch die türkische Botschaft. Der Durchgang zum Lombachweg, der Bomontiweg, ist nichts für klaustrophobisch veranlagte Menschen. Das hat seine Gründe: Das ruhige Wohnquartier wird regelmässig zur Nebenbühne der Konflikte, die sich in der Welt abspielen.

Am Lombachweg demonstriert gerade eine kleine Gruppe gegen die Inhaftierung von Regimegegnern in der Türkei und gegen den immer despotischer auftretenden Erdogan. Die rund 20 Leute halten Kartonschilder in die Höhe. Polizisten mit Maschinenpistolen und Schutzwesten stehen Wache und sitzen in bombensicheren Häuschen mit Panzerglas. Die Gittertore am Lombachweg sind zu und halten die Demonstranten auf Distanz. Praktischerweise hat die Polizei gleich neben der Petruskirche einen Stützpunkt. So könnte schnell Verstärkung anrücken.

Wie wohnt und lebt es sich in einer solchen Umgebung, wo die Sicherheit der ausländischen Vertretungen aus Staatsräson oberste Priorität hat? Ein Anwohner, der nicht mit Namen genannt sein will, spricht von einem «surrealen Lebensgefühl», ein anderer von «Leidensdruck» und einer «Häufung von Problembotschaften». Die Temperatur ist vor allem an ein paar Hotspots hoch, wie eben hier bei den Botschaften der Türken und Chinesen. Oder an der Alpenstrasse beim Thunplatz bei der israelischen Botschaft. Je weiter weg davon, desto weniger martialisch das Erscheinungsbild; nur noch die erhöhte Polizeipräsenz erinnert daran, dass hier ein Botschaftsviertel ist.

Die Polizei ist präsent: Sicherheitsmassnahmen vor dem Sitz des Nuntius – dem Botschafter des Vatikans.

Die Polizei ist präsent: Sicherheitsmassnahmen vor dem Sitz des Nuntius – dem Botschafter des Vatikans.

Auch die Russen geben sich zugeknöpft.

Auch die Russen geben sich zugeknöpft.

Als sich der Theologiestudent die «Mao-Bibel» beschaffte

Willy Schäfer war jahrzehntelang Pfarrer in der Petrus-Kirchgemeinde, zu der das Kirchenfeld gehört. Er hat viele eigene Erfahrungen mit Angestellten von Botschaften. «Sie geben sehr darauf acht, dass sie keine unnötige Aufmerksamkeit verursachen.» Trotzdem bekam er gelegentlich kurze Einblicke in die Welt der Fremden – und realisierte etwa, unter welchem Druck Botschaftsangestellte je nach Zeit stehen. So durften in den 1960er-Jahren Angehörige der chinesischen Botschaft, damals in wattierten «Mao-Anzügen», das Gelände nur zu zweit oder in grösseren Gruppen verlassen. So war das Risiko verbotener Kontakte reduziert.

Die Häuser hinter Zäunen und mit Anschriften in fremden Sprachen und farbigen Fahnen, sie lösen bei Anwohnern nicht nur Unbehagen aus, sondern je nach internationaler Konstellation auch Faszination. Als Theologiestudent war Willy Schäfer beeindruckt vom Mao-Kommunismus; von Fachschaftskreisen wurde er 1967/68 losgeschickt, bei der chinesischen Botschaft das Rote Büchlein des «grossen Steuermanns» in Deutsch zu beziehen. Es wurde ihm auch ausgehändigt. Damals sei man noch links angehaucht gewesen, entschuldigt sich Schäfer, später habe man «den Bluff eines Diktators», der für die Durchsetzung seiner ideologischen Ziele Millionen von Opfern in Kauf nahm, durchschaut. Dieser Lernprozess stehe China als Land noch bevor.

Hier ist es prächtig – aber nicht unbedingt lebendig

89 Länder sind in der Stadt Bern vertreten, knapp 50 davon haben ihre Botschaften, Residenzenund Konsulate im Kirchenfeldquartier. Das überrascht nicht, war doch das Quartier von Anfang an für «habliche» und «vermögliche» Personen angelegt, die mit ihren Familien auch das Landleben geniessen wollten. So formulierte es das Komitee für die Erschliessung. Darum gibt es im Kirchenfeld fast nur Wohnhäuser und Villen, aber kaum Gewerbe und gar keine Fabriken. Der hohe Bodenpreisverhinderte, dass Wohnraum für das Proletariat entstand. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich Kirchenfeld und Elfenau zum eigentlichen Botschaftsquartier. Ein denkmalgeschütztes Kleinod reiht sich ans nächste. Für Einkaufen, Essen und Vergnügen aber sind weite Teile des Quartiers Ödland.

Durch Ritzen des Belags und zwischen den seit langem nicht mehr benützten Gleisen spriesst beim früheren Tramdepot am Burgernziel Gras. Hier befindet sich das Restaurant und Kulturlokal Punto, eine der sozialen Oasen im sonst sehr stillen Kirchenfeldquartier. Wirtin Leah Mürner erkennt oft Botschaftspersonal unter ihren Gästen. «Vor allem aus Mexiko, Italien, Südkorea und Grossbritannien.» Für einige Diplomaten sei das Lokal aber «wohl zu alternativ». Anwohner wollen das Punto und die Kulturräume im alten Depot nicht hergeben. Mit einer Initiative wollen sie die geplante Überbauung des Areals verhindern – wohl mit mässigen Erfolgsaussichten.

Im Brunnadere-Lade von Robel Kahsay, der ursprünglich aus Eritrea stammt, gibt es Bio-Knuspermüesli, hausgeräucherte Bauernwurst, rezenten Alpkäse – dasdürfte eher Quartierbewohner ansprechen. Doch auch Botschaftsangestellte sind bei Kahsay regelmässige Kunden, wie auch in den anderen Läden und Geschäften im Quartier. Sie sorgen zwar für regelmässigen Umsatz, aber nicht unbedingt für ein brummendes Geschäft.

Zurück zu den Villen mit den parkartigen Gärten voller mächtiger Bäume. Kommt eine dieser Liegenschaften auf den Markt, melden sich zuerst relativ viele Interessenten, sagt Alex Bangerter, Leiter Bewertung und Vermittlung bei der Von Graffenried AG. Für die meisten stellt sich eine solche Villa jedoch als unerfüllbarer Traum heraus. Eine Liegenschaft, die zwischen drei und sieben Millionen Franken kostet – und die man nach dem Erwerb vielleicht auch noch sanieren muss –, können sich die wenigsten leisten. «Der Kreis der Nutzer für solch grosse, repräsentative Gebäude ist beschränkt», sagt Bangerter.

Sucht einen Käufer: Die schwedische Residenz.

Sucht einen Käufer: Die schwedische Residenz.

Der Sitz des deutschen Botschafters.

Der Sitz des deutschen Botschafters.

Schweden will seit längerem seine Residenz verkaufen

Treibt die Nachfrage ausländischer Staaten die Liegenschaftspreise im Kirchenfeldquartier in die Höhe? Nein, sagen die Experten. Dafür sei die ausländische Nachfrage nach solchen Liegenschaften zu klein. Auch ausländische Staaten greifen nicht einfach gedankenlos zu: «Westliche Länder stehen generell eher unter Spardruck, sie haben in den letzten Jahren eher veräussert als zugekauft», sagt Bangerter. Die Kostensensibilität habe sich erhöht. So will etwa Schweden die Residenz des Botschafters an der Thunstrasse abstossen. Gemäss Inserat werden gut 7 Millionen Franken für die grosse Villa verlangt.

Auf dem Spielplatz traf er einen freundlichen KGB-Offizier

Sowieso täuschen die prächtigen Fassaden. Längst nicht alle Angestellten der Botschaften sind nobel untergebracht. Das hat schon der pensionierte Pfarrer Willy Schäfer beobachtet, der lange in einem der Hochhäuser in Wittigkofen lebte. «Viele Angestellte unteren Grades vor allem aus Ostblock-Staaten und afrikanischen Ländern sowie ausländische Mitarbeitende der nahen Weltpostorganisation lebten in den 1970er- und 1980er-Jahre ebenfalls in der Siedlung.»

Im gleichen Wohnblock wie Schäfer wohnte zum Beispiel ein DDR-Militärattaché, der erst noch den gleichen Familiennamen trug. «Er ärgerte sich furchtbar, wenn die Post verwechselt wurde.» Staatsgeheimnisse waren dadurch aber nie tangiert. Auf dem Spielplatz traf Schäfer hin und wieder einen KGB-Offizier. «Dieser ging mit den Kindern immer zwischen 18 und 19 Uhr raus, weil dann die Schweizer normalerweise beim Abendessen waren.» Er unterhielt sich mit dem Russen auf Französisch, der Kontakt war freundlich, blieb aber doch unverbindlich.

Jogger schnaufen von der Aare herkommend den Hang zur Orangerie in die Elfenau hinauf. Auch Diplomaten verspüren Bewegungsdrang, gerne greifen sie zum Tennis-Racket. Rund um den Dählhölzliwald ist ein Kranz von Tennisplätzen angelegt. Auch ein früherer Nuntius, der Botschafter des Papstes, vertauschte für sein Hobby die Soutane mit kurzen Hosen. Daran erinnert sich Peter Schmidt vom Tennis-Club Rotweiss Bern, der gleich neben der Nuntiatur liegt.

Peter Schmidt, Platzchef und Tennislehrer bei Rotweiss Bern.

Peter Schmidt, Platzchef und Tennislehrer bei Rotweiss Bern.

Vater und Mutter arbeiteten für die US-Botschaft – und wohnten dort

Der 79-jährige Schmidt ist Platzchef und Tennislehrer beim Club, nächstes Jahr ist er seit 50 Jahren Mitglied. Schon als Kind blickte er von seinem Zimmer aus auf die Tennisplätze am Rand des Dählhölzliwaldes. Seine Eltern arbeiteten um 1950 für die US-Botschaft, der Vater als Dolmetscher, Kurier und Telefonist, die Mutter als Chefin der Putzequipe; sie lebten mit den Kindern in der Botschaft – eine Villa gleich neben dem Platz. Heute ist im gleichen Haus die irakische Botschaft untergebracht. «Mein Bruder und ich haben immer die Bälle aufgelesen, die in den Garten fielen.» Und wenn die Botschaftsangestellten die Räumlichkeiten am Abend verlassen hatten, mussten er und sein Bruder jeweils die schwarzen Vorhänge zuziehen. Anfang der 1950er-Jahre zog die US-Embassy hinunter neben die Ka-We-De, heute befindet sie sich an der Sulgeneckstrasse in der Nähe der Kleinen Schanze.

Schmidt hat sein Leben dem Sport gewidmet; bevor er Tennislehrer wurde, holte er mit dem SCB 1959 und 1965 den Schweizer-Meister-Titel. Im Sport lässt sich der wahre Charakter nicht verbergen, das gilt auch für Diplomaten. Wie überall gebe es anständige und weniger anständige, sagt Schmidt zu seinen Erfahrungen auf dem Tennisplatz. Auch sonst gibt es dort keine Unterschiede. «Für den Platz müssen alle zahlen, und beim Sport müssen sich alle benehmen.» Der nahe gelegene Tennis Sporting Club wiederum zählt laut Präsident Andreas Maurer 10 bis 20 verschiedene Botschaftsmitarbeiter. «Sie kommen auch an die Vereinsanlässe, sodass eine Durchmischung stattfindet.» Vor einigen Jahren war der Tennisclub in seiner Existenz bedroht: Der Iran zeigte Interesse am Clubhaus und am Grundstück, das dem Vorstandsmitglied und Unternehmer Roberto Oprandi gehört. Doch die Pläne, gegen die zahlreiche Einsprachen eingegangen waren, zerschlugen sich.

Im Kirchenfeldquartier treffen die Welt und die lokale Bevölkerung aufeinander. Früher lockte in der chinesischen Botschaft die «Mao-Bibel», heute wirbt man mit Investitionen. In Schaukästen am Kalcheggweg sind Fotos der «glücklichen Völker» zu sehen, die von der «Road and Belt Initiative» profitieren, oder wie Kritiker sagen: durch sie kolonisiert werden sollen.

Bussen: schlechte Zahlungsmoral

Ein Stein des Anstosses ist seit vielen Jahren, dass die Diplomaten die Verkehrsregeln gerne zu ihrem Vorteil auslegen: Und gibt es Bussen, so drückt man sich um die Bezahlung, denn der Polizei sind wegen der diplomatischen Immunität weitgehend die Hände gebunden.

In den letzten Jahren fingen Botschaftsangehörige und Mitarbeitende internationaler Organisationen jeweils mehrere tausend Bussen ein. Die Zahl ist aber rückläufig, zuletzt lag sie bei 1848 Bussen (2017), nachdem es im Spitzenjahr 2014 noch 3400 Bussen gewesen waren, wie eine Übersicht der «Sonntags-Zeitung» ergab. Die Zahlen für 2018 sind noch nicht verfügbar. Die Zahlungsmoral hat sich nach Auskunft des EDA in den letzten Jahren verbessert. Allerdings auf relativ tiefem Niveau: Der Anteil der bezahlten Bussen liegt jetzt zwischen 20 und 25 Prozent, 2014 betrug dieser nur 5 Prozent. Pro Jahr muss sich der Staat 100000 und mehr Franken ans Bein streichen. Die Vertretungen würden quartalsweis gebeten, alle ihre Bussen zu bezahlen, schreibt das EDA auf Anfrage. Für schwerwiegende Fälle oder individuelle Fälle wiederholter Zuwiderhandlungen würden die Verantwortlichen oder Missionschef ins EDA zitiert. Allerdings ist nicht bekannt, wie häufig dies vorkommt. Die Informationspolitik ist zurückhaltend. Das ist im Einklang mit der Haltung des Bundesrats. So sagte der frühere Aussenminister Didier Burkhalter zum Thema Missbrauch der diplomatischen Immunität bei Verkehrsbussen: Der Bundesrat sehe es nicht als opportun an, eine schwarze Liste der betroffenen Länder zu führen. (wal)

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