«Nicht nur im eigenen Saft»

Anders als andere Ambassadoren: Der deutsche Botschafter Nobert Riedel sucht aktiv den Kontakt zum Quartier.

Interview: Simon Wälti

Herr Riedel, sie sind seit Oktober 2017 deutscher Botschafter in Bern. Ist der Posten in Bern nicht etwas langweilig?
Nein (lacht). Die Schweizer machen sich gerne und mit Freude klein und bescheiden. Für mich ist es ein Privileg, hier Botschafter zu sein: Ich lebe in einem Nachbarland, das nicht EU-Mitglied ist, das ist politisch hochinteressant. Ich lebe in einem Land, in dem ich die Sprachen verstehe und in dem ich unmittelbaren Zugang zu allen habe. Mir wird die Türe aufgemacht. Das gibt es weltweit an keinem anderen Dienstort. Mir ist es darum überhaupt nicht langweilig.

Gibt es denn viele Anlässe und Empfänge in Bern, die man als Botschafter besuchen muss?
Zunächst bin ich für die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland zuständig. Ich habe mit allen Bundesräten regelmässig Kontakt. Besonders wichtig sind die Ansprechpartner im Aussen, im Verkehrs- und im Wirtschaftsdepartement. Ein wichtiger Schwerpunkt sind die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union, also auch das Rahmenabkommen, das alle umtreibt. Wenn die Beziehungen der Schweiz zur EU hervorragend sind, dann spüren wir das in Deutschland als erstes, wenn die Beziehungen sich verschlechtern, dann ebenfalls. Ich tausche mich natürlich in diesen Dingen auch viel mit meinen EU-Kollegen aus.

Kontakte zu Botschaftern aus Nicht-EU-Ländern sind also eher seltener?
Häufige Kontakte bestehen auch zu anderen wichtigen Partnern wie USA oder Israel. Aber auch mit meinen russischen Nachbarn hier in der Elfenau komme ich immer wieder zusammen.

Man möchte ja gerne wissen, was der Bundesrat über das Rahmenabkommen wirklich denkt. Wissen Sie es?
Meine Aufgabe ist es, mit allen zu sprechen, um dann diese Eindrücke nach Berlin zu übermitteln. Umgekehrt versuche ich, hier die deutsche Position zu vermitteln. Wir sind überzeugt davon, dass es in unserem beiderseitigen Interesse ist, ein Rahmenabkommen zu schliessen. Es bringt Rechtssicherheit und erleichtert den Austausch.

Gibt es in Bern viele gesellschaftliche und diplomatische Anlässen wie Bankette und Empfänge?
Jedes Land hat natürlich einen Nationalfeiertag und lädt dazu ein. Aber zu allen zu gehen, ist zeitlich nicht möglich. Man hat vielleicht gerade anderes zu tun oder ist gar nicht im Land. Es ist nicht so, dass wir Diplomaten uns nur «im eigenen Saft» bewegen. Wir sind eine verhältnismässig grosse Botschaft, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass sehr viele Deutsche in der Schweiz leben. Gut die Hälfte der Mitarbeitenden sind lokal Beschäftigte, davon die meisten Schweizer.

Ist das diplomatische Protokoll so wichtig, wie man sich vorstellt?
Ich glaube nicht. Von der Schweiz war ich von Anfang an beeindruckt, weil sie diese Dinge entspannt handhabt. Der direkte Zugang zu Politikern ist jederzeit möglich. Man hat ja sogar die Möglichkeit, einen Bundesrat auf der Strasse oder im Tram zu treffen. Das macht auch die Schweiz aus, dass es hier nicht so eine grosse Distanz gibt.

Die deutsche Botschaft befindet sich in der Elfenau. Haben Sie Kontakte im Quartier?
Wir sind sehr gerne hier. Ich habe mich von Anfang an bemüht, meine Schweizer Nachbarn kennenzulernen und habe sie auch zu mir eingeladen. Mit vielen habe ich mich unterdessen angefreundet. Es ist wichtig, dass eine Botschaft ein Ort der Begegnung und des Austausches ist. Uns ist auch sehr an der Aussenwirkung der Gebäude und der Verträglichkeit mit dem Quartier gelegen. Wir wollen signalisieren, wir sind dankbar, hier sein zu können. Wir wollen gute Nachbarn sein. Meine liebsten Gäste sind die Schweizer.

Sie haben nie die Erfahrung gemacht, dass Schweizer im Umgang auch etwas verschlossen sein können?
Wir sagen immer, wir sind uns nah, aber wir sind nicht dieselben. Ich mag die Schweizer und habe es auch zum Ziel gemacht, so viele wie möglich kennenzulernen. Im letzten Jahr hatten wir insgesamt 2000 Besucher in der Residenz.



«Es ist wichtig, dass eine Botschaft ein Ort der Begegnung ist.»

Der Sitz des deutschen Botschafters am Willadingweg.

Der Sitz des deutschen Botschafters am Willadingweg.

Im Quartier gibt es aber nicht viele gastronomische Möglichkeiten.
Leider nein.

Wären Sie froh, wenn das Quartier etwas lebhafter wäre?
Also im Sommer ist viel Betrieb. Wenn es auf der Aare zugeht, wie auf der Autobahn nach Zürich. Das ist das Besondere hier: Man ist nahe an der Natur, gleichzeitig ist es aber keine grosse Entfernung bis in die Altstadt. Die deutsche Botschaft wurde 1912 gebaut und war damit eines der ersten Gebäude in diesem Viertel. Der damalige Kaiser Wilhelm II hatte erfahren, dass der deutsche Botschafter in Bern nicht ordentlich untergebracht sei. Dann baut ihm eine richtige Residenz hier, soll der Kaiser verfügt haben. Er kam 1912 zu den sogenannten Kaisermanövern auf Staatsbesuch in die Schweiz und hatte den Hintergedanken, dass er dann nicht ins Hotel müsste. Doch dann wurde die Residenz nicht rechtzeitig fertig.

Wenn das Gebäude für Berner so interessant ist, gibt es denn Besuchstage?
Natürlich befinden wir uns unter einem gewissen Sicherheitsreglement. Wir wollen uns aber in diesem Jahr am Tag des Denkmals Mitte September beteiligen und die Botschaft für Publikum öffnen. Auch zu unserem Nationalfeiertag, dem Tag der Deutschen Einheit, am 3. Oktober, sind neben unseren Ansprechpartnern aus Politik und Botschaften und unseren deutschen Landsleuten vor allem auch viele Schweizerinnen und Schweizer eingeladen. Bei meinem letzten Auslandaufenthalt habe ich übrigens einem Stadtviertel gewohnt, das mehr Einwohnerinnen und Einwohner hatte als die ganze Schweiz: in Peking.

Dort sind die Botschaften wohl über ein weiteres Gebiet verteilt als in Bern?
Es gibt auch dort drei Quartiere, in denen die Botschaften zusammengefasst sind. Das hat aber einen etwas anderen Hintergrund, indem man so dafür sorgt, dass die Botschafter etwas «unter Kontrolle» gehalten werden.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass sie alle Landessprachen verstehen. Auch rätoromanisch?
Nein, nein (lacht). Ich habe es so gemeint: Der letzte Auslandsposten war in China und dort habe ich im wahrsten Sinn des Wortes nur Chinesisch verstanden. Ich spreche Deutsch und Französisch und ich verstehe Italienisch. Ich kann mich überall durchschlagen. Wenn ich die Sprache selber spreche, ist auch der Eindruck im direkten Gespräch viel unmittelbarer. Als Schwabe verstehe ich auch den hiesigen Dialekt ganz gut. Und was sehr wichtig ist: Ich kann den Medien folgen. Das gibt einen viel tieferen Einblick in das Land, als wenn man dafür auf Übersetzer und Dolmetscher angewiesen ist – und damit auf Informationen aus zweiter Hand.

Wie nehmen Sie das Lebensgefühl in der Stadt wahr? Sie sind jetzt seit rund anderthalb Jahren auf diesem Posten?
Bern ist schon eine coole Stadt. Sie tut viel, um alternative Möglichkeiten der Fortbewegung anbieten zu können. Es gibt auch ein sehr reiches kulturelles Angebot. Ich bin sehr gerne in der Stadt und gehe durch die Lauben. Das ist ein Kleinod. Ich bin zu einem Fan von YB geworden. Ich gehe auch gerne ins Eishockeystadion. Ich bin allgemein sehr viel in der Schweiz unterwegs, um andere Städte und Regionen zu besuchen.

Ist es Ihr Ziel, alle Kantone zu besuchen?
Das ist ein Grundanspruch. Ich besuche offiziell die Regierungen der Kantone, das gehört zu den Aufgaben eines Botschafters. Nicht nur die Kantone, die in direkter Nachbarschaft zu Deutschland gelegen sind. Ich bin beeindruckt. Auch von den Unterschieden, die teilweise den grossen Charme der Schweiz ausmachen.

Gab es schon Situationen, in denen Sie ins Fettnäpfchen getreten sind?
In habe einem meiner ersten Interviews etwas gesagt über Geld und dann schnell merken müssen, dass man in der Schweiz nicht darüber redet. Es gibt bestimmte Bereiche, in denen man vorsichtig sein muss. Aber ich sage immer: Ich bin kein Freund der diplomatischen Zurückhaltung oder Verklausulierung. Ich möchte meinem Gegenüber so offen und ehrlich wie möglich begegnen. So kann man die Haltung, die man vertritt, dem anderen verdeutlichen.

Sie waren Sonderbeauftragter für Cyber-Aussenpolitik. Wie gross ist die Gefahr von Hacker-Angriffen?
Mit dem Informationszeitalter gibt es zahlreiche Fragen, auf die wir in der Aussenpolitik eine Antwort finden müssen. Wie werden die Freiheitsrechte im Internet gewahrt? Ist die Vertraulichkeit gewährleistet oder liest jemand mit? Natürlich geht es auch um Sicherheitsfragen. Auseinandersetzungen zwischen Staaten müssen nicht mehr auf Schlachtfeldern geführt werden. Sie werden zunehmend im Cyberraum ausgetragen. Es reicht, die Infrastruktur eines Landes auszuschalten. Die Staatengemeinschaft steht noch ganz am Anfang, um dieser Herausforderung zu begegnen. Ich vertrete die Auffassung, dass gerade Nachbarn wie Deutschland und die Schweiz in diesem Bereich eng kooperieren sollten. Wir haben die gleichen Interessen und Wertvorstellungen.

Welches könnten denn Antworten auf diese neuen Gefahren sein?
Es geht sicherlich darum, gemeinsame Standards festzulegen. Damit ist noch nicht sichergestellt, dass jemand die Regeln auch befolgt. Aber völkerrechtlich muss sich ein entsprechendes Bewusstsein herausbilden. Und es geht auch darum, Absprachen zu treffen. Wenn etwas passiert, kann man nur schwer nachweisen, woher die Bedrohung kommt. Man muss also auch dafür sorgen, dass es nicht zu falschen Anschuldigungen oder Überreaktionen kommt.

Gehört das zu den Themen, die Sie mit der Schweiz besprechen?
Ja, ich gebe ein Beispiel. Wenn Infrastrukturanlagen durch Cyberangriffe bedroht werden, zum Beispiel das Stromnetz. Das hätte sofort auch Auswirkungen für Deutschland. Das gemeinsame Erkennen von Risiken und das Erarbeiten von Lösungen, ist sehr wichtig. Es liegt auch in unserem gemeinsamen Interesse, beim Militär entsprechende Fähigkeiten aufzubauen. In Zürich gibt es hervorragende Universitäten, es gibt aber auch Google, das Internetspezialisten abzieht. Wir stellen fest: Weder die Schweiz noch Deutschland finden ausreichend Spezialisten, die wir in der Armee einsetzen können. Wir haben eine Bundeswehruniversität in München, an der IT-Spezialisten ausgebildet werden. Es wäre interessant, hier stärker zu kooperieren. Jeder Staat hat den Auftrag, sich und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

«Ich bin kein Freund der diplomatischen Zurückhaltung.»
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