Wenn die Weltgeschichte nach Bern schwappt

Ein Rückblick auf Besetzungen und Geiselnahmen.

von Simon Wälti

Bern war im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg Tummelfeld und Drehscheibe für Agenten und Spione. Hier lebten Vertreter der kriegführenden Mächte in einer Atmosphäre der gespannten Stille Tür an Tür. Hier flanierten sie in den Lauben aneinander vorbei. Während des Ersten Weltkriegs wurden mehr als 300 Personen wegen Nachrichtendienstes zugunsten fremder Mächte verurteilt, darunter 150 Schweizer und 110 Deutsche. Hinzu kam die unrühmliche Oberstenaffäre, ein Informationsleck zugunsten Deutschlands. Im Zweiten Weltkrieg wohnte und spionierte der spätere CIA-Direktor Allen Dulles in Bern.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es im Umfeld der diplomatischen Vertretungen immer wieder zu ernsten Zwischenfällen. Einige Beispiele: In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 1955 besetzen Mitglieder der Rumänischen Nationalen Widerstandsaktion die rumänische Botschaft in Bern. Sie fordern die Freilassung von fünf in Rumänien inhaftierten Personen. Der Chauffeur der Botschaft wird bei der Aktion erschossen. Nach Vermittlungen durch einen katholischen Geistlichen ergeben sich die Besetzer.

Unblutiger Polizeieinsatz: Geiselnnahme in der polnischen Botschaft. (Archiv/Keystone)

Unblutiger Polizeieinsatz: Geiselnnahme in der polnischen Botschaft. (Archiv/Keystone)

Bei der Petruskirche wurde es gleich zweimal hoch dramatisch: 1982 besetzen bewaffnete Geiselnehmer die polnische Botschaft. Im nahen Kirchgemeindehaus richtet die Polizei den Kommandoposten ein, die Polizeiwache Ostring gab es damals noch nicht. Die Geiselnehmer verlangen die Aufhebung des Kriegsrechts in Polen und die Freilassung der politischen Gefangenen. Es ist die Zeit von Solidarnosc.

Der Bundesrat wagt nach längeren Verhandlungen eine risikoreiche Befreiungsaktion durch die Sondereinheit Stern der Berner Stadtpolizei. Ein Frühstückskorb wird mit einer Tränengas-Blendgranate bestückt und per Funk gezündet. Dann stürmen Sondereinheiten die Botschaft, überwältigen die Geiselnehmer und befreien die Geiseln. Bei der Befreiung werden gleichzeitig geheime Spionageakten der Polen eingesehen und kopiert, eine völkerrechtswidrige Aktion. Der damalige Bundesrat Kurt Furgler war ganz erpicht darauf, als er von deren Existenz erfahren hatte. Furgler wollte wissen, welche militärischen Geheimnisse der Schweiz die Polen ausgeforscht hatten.

Am 24. Juni 1993 schiessen türkische Botschaftsangestellte am Kalcheggweg auf kurdische Demonstranten, die durch ein unverschlossenes Tor auf das Gelände eingedrungen waren. Ein Kurde kommt ums Leben. Acht weitere Personen werden verletzt. Der Protest richtet sich gegen eine türkische Militäroffensive in Anatolien. Kugeln schlagen auch in die Fenster der Petruskirche ein, wie sich Zeitzeugen erinnern. Die Schweiz verlangt die Aufhebung der Immunität des Botschafters, Ankara zieht daraufhin den Mann in die Heimat ab. Als Retourkutsche muss auch der Schweizer Botschafter die Türkei verlassen. Es kann aber niemand für die tödlichen Schüsse zur Verantwortung gezogen werden. Die diplomatische Krise dauert noch lange an. Als Konsequenz werden die Sicherheitsvorkehrungen im Botschaftsviertel massiv verstärkt, eiserne Vorhänge senken sich auf die Strassen. Angehörige der Schweizer Armee marschieren auf.

Am 7. Februar 2005 dringen mehrere bewaffnete Personen in das Spanische Konsulat an der Marienstrasse ein und nehmen Geiseln. Eine Person, der Chauffeur, wird am Kopf verletzt. Die Polizei ist mit einem grossen Aufgebot inklusive Schützenpanzer am Tatort. Offenbar haben die Geiselnehmer aber bereits vor Eintreffen der Polizei das Weite gesucht, wie sich später herausstellen sollte. Später kam die Polizei zum Schluss, es habe sich eher um einen Raubversuch gehandelt – und nicht um eine politische Tat. Im Oktober 2006 stellte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen ein. Die Hintergründe konnten nicht geklärt werden.

Solche dramatischen Episoden sind in der Bundesstadt jedoch selten: Im Normalfall bleibt es auch bei politischen Krisen bemerkenswert ruhig. Denn grundsätzlich sind die Botschaften immer um gute Nachbarschaft und um Diskretion bemüht. Aber manchmal da drängt die grosse Weltgeschichte ins kleine, überschaubare Kirchenfeld. Und es kann – wie im Fall der tödlichen Schüsse bei der türkischen Botschaft – lange dauern, bis die Wogen wieder geglättet sind.

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