Für Kultur zahlen, vom ÖV profitieren

Die Gemeinde Zäziwil muss ab 2020 doppelt so viel an Kulturhäuser zahlen, die von der Regionalkonferenz Bern-Mittelland unterstützt werden.

Das, obwohl diese in Zäziwil auf geringes Interesse stossen.

Von Sophie Reinhardt

Wenn die Mitglieder des Frauenvereins von Zäziwil nach der Pilatesstunde noch beisammensitzen wollen, dann ist die Auswahl an Möglichkeiten klein. Der Gasthof Rössli ist letzten Sommer abgebrannt, und das Kreuz ist schon länger geschlossen. Die Rössli-Ruine erinnert noch immer an einen Ort, der bessere Zeiten kannte. Stolz erzählt man heute noch, wie man hier 1982 die Weltmeister im Seilziehen feierte oder wie die Schauspielerin Audrey Hepburn die Leinenweberei besuchte. Doch dieser Glanz ist erloschen – heute fehlte nur schon das Vereinslokal im Dorf, um jemanden zu feiern. Einzig die türkischen Brüder Mehmet und Ergün Simsek führen noch das Restaurant Bahnhöfli. Andererseits gibt es hier im Dorf noch, was anderswo schon fehlt: einen Bäcker, einen Metzger, einen Bancomaten und einen Bahnhof mit Verbindungen nach Langnau, Thun und Bern.

Das Bundesamt für Statistik stufte das Dorf nicht mehr als Land-, sondern als Agglomerationsgemeinde ein. Das hat nun Folgen für die Kulturförderung. Ab dem Jahr 2020 zahlt die Gemeinde nämlich doppelt so viel an die von der Regionalkonferenz Bern-Mittelland (RKBM) anerkannten Kulturinstitutionen, die mehrheitlich auf dem Boden der Stadt Bern liegen. Wendete die Gemeinde bis anhin als ländliche Gemeinde 10600 Franken für diese Institutionen auf, ist es künftig mit 21000 Franken fast das Doppelte – das sind 13 Franken pro Einwohner und Jahr. In der Periode davor berappte man für die Kulturhäuser der RKBM noch 6.60 Franken pro Kopf.


Das Rössli ist im Juni 2018 bis auf die Grundmauern abgebrannt.


Wo einst gewirtet wurde, steht nun nur noch eine graue Ruine.

«So gut wie niemand geht in die Bibliothek nach Bern»

Auch Biglen, Kirchdorf und Oberbalm müssen mit dem neuen Finanzierungsschlüssel künftig das Doppelte zahlen. Andere Gemeinden profitieren hingegen: Grosshöchstetten zahlt ab nächstem Jahr 20000 Franken weniger, auch Gurbrü und Toffen profitieren vom neuen System (siehe Text unten).

In Zäziwil nimmt man die Erhöhung erstaunlich gelassen zur Kenntnis. Gemeindepräsident Walter Flühmann (parteilos) zuckt nur mit den Schultern: «Wir sind nicht frei, und unser Handlungsspielraum ist sehr klein, um mitzubestimmen, wohin unsere Gelder an die Regionalkonferenz fliessen», sagt er. Der Gemeinde gehe es aber finanziell gut, weshalb man den Mehrbetrag «stemmen» könne. Es wurmt den Gemeindepräsidenten aber schon, dass die Bürger aus Zäziwil die Kornhausbibliotheken mitfinanzieren müssen – wobei sie selbst gerade 30000 Franken in die eigene Bibliothek investiert haben. «So gut wie niemand geht von hier in die Bibliothek nach Bern», sagt Flühmann.

Die Zäziwiler finanzieren zwar das Berner Stadttheater mit, aber von innen scheinen es nur die wenigsten zu kennen. Der Gemeindepräsident erinnert sich, dass er vor einigen Jahren dort einmal ein Musical besucht hat, die Atmosphäre habe ihn beeindruckt, erzählt er. Die Präsidentin des Frauenvereins, Renate Nussbaum, sagt, ihr fehle schlicht die Zeit, um nach Bern zu fahren und ein Theater zu besuchen. Eine Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung war noch überhaupt nie im Stadttheater.


Die Berner Kulturangebote stossen in Zäziwil auf wenig Interesse.


Gemeindepräsident Flühmann glaubt nicht, dass viele Zäziwiler die Kornhausbibliothek besuchen (Bild: Manu Friederich).

Eine Frage der Infrastruktur

In der Gemeinde sei man sich bewusst, dass es ein «Geben und Nehmen» sei, sagt Flühmann. Denn dass die S-Bahn auch nach 21 Uhr noch immer im Halbstundentakt zwischen Laupen, Bern und Langnau verkehrt, schätze man im Dorf; besonders die Jugend, deren Treff geschlossen wurde, sei froh darum. Die Erweiterung des abendlichen Fahrplans geschah im Rahmen des Angebotskonzepts 2018–2021 der RKBM. Doch gerade die verbesserte Verkehrsinfrastruktur führte letztlich auch dazu, dass die Gemeinde beim Bundesamt für Statistik nicht mehr als ländlich gilt. Während die Gemeinden Bowil und Linden einst mit dem Gedanken spielten, den Verwaltungskreis Bern-Mittelland zu verlassen, sei das in Zäziwil kein Thema, sagt der Gemeindepräsident. Man sei wirtschaftlich nach Bern orientiert; viele würden dort arbeiten. Und weil die Gemeinde Zäziwil auf die Infrastruktur der Region Bern-Mittelland angewiesen sei, wolle sie auch dort mitreden.

Positiv rechnet man in Zäziwil der Regionalkonferenz zudem an, dass sie den Neubau der in der Gemeinde liegenden Käserei Eyweid AG mit dem regionalen Förderprogramm mit einer Million Franken unterstützen wollte – auch wenn das Vorhaben dann doch am Widerstand der Gemeinden scheiterte, wie Urs Glauser, Verwaltungsratspräsident der Käserei, erzählt. Heute ist die Eyweid-Käserei trotzdem ein Erfolg, deren Teilhaber die Milchproduzenten, die Käser und die Firma Jumi sind. Letztere vermarktet den Käse auf dem Wochenmarkt in der Berner Münstergasse und sogar in ihren Läden in London und Wien.


Man sei wirtschaftlich nach Bern orientiert, sagt Gemeindepräsident Flühmann.


Die Produkte der Käserei Eyweid AG werden nicht nur in Bern sondern auch in London oder Wien verkauft.

«Früher brauchte es den Verein, um die Frauen aus den Häusern zu holen.»

Es gibt einen kulturellen Anlass im Dorf, auf den hier fast alle stolz sind: die Brächete, wo das Brauchtum auf alten Handgeräten zelebriert und gezeigt wird, wie aus der Flachspflanze Tischtücher oder Decken entstehen. Sonst ist es vor allem der Frauenverein, der sich bemüht, den Zusammenhalt zu fördern. Der Verein organisiert die Brockenstube, Pilateskurse und Carausflüge auf den Ballenberg oder den Weihnachtsmarkt im deutschen Bad Säckingen. «Früher brauchte es den Verein, um die Frauen aus den Häusern zu holen», sagt Renate Nussbaum vom Frauenverein. Mit der neuen Rolle der Frau wolle man verbindend wirken, auch für Neuzuzüger oder ältere Menschen im Dorf. 


Für die traditionelle Brächete reisen Besucher sogar mit Cars an.


In Zäziwil läuft vieles über den örtlichen Frauenverein. Zum Beispiel Pilates-Training.

Wie das Geld fliesst

So wird gerechnet

Wie viel eine Gemeinde an die regionale Kultur zahlen muss, wird per Finanzierungsschüssel aufgeteilt.

Die Kulturkommission der Regionalkonferenz Bern-Mittelland (RKBM) hat den Finanzierungsschlüssel für Kulturinstitutionen für die Jahre 2020–2023 überarbeitet. Die 15 Kulturhäuser mit mindestens regionaler Bedeutung, wie etwa Konzert Theater Bern oder der Kulturhof Schloss Köniz, werden auch von den 79 Gemeinden der Regionalkonferenz mitfinanziert. In der aktuellen Vertragsperiode 2016–2019 steuerten diese Gemeinden jährlich knapp 6 Millionen Franken bei. Die vorgesehene Erhöhung der Gelder für die neue Periode beträgt knapp 170000 Franken. Wegen des Bevölkerungswachstums sinken aber die Pro-Kopf-Beiträge.

Wie viel die einzelnen Gemeinden zu zahlen haben, regelt der Finanzierungsschlüssel. Sämtliche Gemeinden der RKBM werden in eine von vier Kategorien eingeteilt. Dahinter steht eine neue Definition des Bundesamts für Statistik, welche die Gemeinden in Agglomerations- und Landgemeinden einteilt. Ländliche Gemeinden wie Oberdiessbach zahlen 6.56 Franken pro Einwohner an die Kulturhäuser.

Die Agglomerationsgemeinden werden in drei weitere Kategorien eingestuft, je nachdem, wie lang die Reisezeiten mit Auto und ÖV zu den Kulturhäusern sind. Kerngemeinden wie Köniz und Belp überweisen 26.22 Franken pro Einwohnerin und Einwohner, Gemeinden der zweiten Kategorie wie Laupen und Konolfingen 19.67 Franken und Gemeinden der dritten Kategorie wie Zäziwil und Oberbalm 13.11 Franken. Die Kommission Kultur wird die Kulturverträge 2020–2023 der Regionalversammlung im März unterbreiten. (sie) 

Woher die Besucher kommen

Die Regionsgemeinden Bern-Mittelland unterstützen gemeinsam mit dem Kanton und den Standortgemeinden 15 «Kulturinstitutionen von mindestens regionaler Bedeutung». 10 davon sind auf Stadtberner Boden, wie etwa das Strassenmusikfestival Buskers, das Berner Stadttheater, aber auch das Kornhausforum. Auch das Reberhaus in Bolligen oder das Schlossmuseum Jegenstorf werden finanziell unterstützt durch die Gemeinden der Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Die Stadt Bern erfasste 2016 mit einzelnen Zählungen in Vorstellungen, woher die Besucher dieser Institutionen stammen. Am Buskers kam ein Drittel der Besucher aus den Gemeinden aus Bern-Mittelland – und damit fast gleich viele wie aus der Stadt Bern. Die Zählung im Stadttheater vom Januar 2016 ergab, dass bei der Vorstellung von «Romeo und Julia» 18,8 Prozent der Zuschauer aus der Region Bern-Mittelland kamen, bei dem Stück «Die Töchter des Danaos» in den Vidmarhallen stammten fast 40 Prozent des Publikums aus den Gemeinden der Region und damit genau gleich viele wie aus der Stadt. (sie)

Text: Sophie Reinhardt
Bilder: Adrian Moser
Umsetzung: Martin Erdmann

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