Das Tal der Tiger

Im Emmental ist die Wirtschaftsleistung schwach, die Abhängigkeit vom Finanzausgleich gross. Trotzdem gibt es innovative Firmen – und mit den SCL Tigers einen Eishockeyclub, der die ganze Region fesselt.

«Der Emmentaler macht lieber auf ,Gring ache’.»

Peter Jakob ist Präsident der SCL Tigers und Unternehmer.

Peter Jakob ist Präsident der SCL Tigers und Unternehmer.

«Ho, ho, hopp Langnou», schreien Hunderte Fans. In Langnau findet ein Eishockeymatch statt, ein Ereignis im Emmental, im selbst ernannten Hockey Country. Der Club, die SCL Tigers, verbindet die ganze Region. Alle kommen ins Stadion: von der Teenagerin bis zum Grossvater. Auf den Holzbänken sitzen Landwirte, Sanitärinstallateure, Lehrer und Treuhänder eng beisammen. Die Stimmung erinnert an eine grosse Dorfbeiz. Und am schönsten sind jeweils die Siege gegen den SC Bern.

Die SCL Tigers geben dem Emmentaler das Gefühl, bei den Grossen dazuzugehören. Als einer der letzten Dorfclubs spielen sie in der obersten Liga. Für Präsident Peter Jakob sind sie mittlerweile der wichtigste Werbeträger des Emmentals: «Die Tigers haben den Käse abgelöst.» Doch die Konkurrenz aus Bern, Zürich und Zug siegt häufiger, ihr steht auch mehr Geld zur Verfügung. Selbst die SCL Tigers können nicht kaschieren, woher sie stammen – aus einer Randregion.

Zahlen bestätigen das Klischee: Die Wirtschaftsleistung ist schwach, die Abhängigkeit vom Finanzausgleich gross. An das Bruttoinlandprodukt des Kantons Bern steuert der Verwaltungskreis Emmental nur sieben Prozent bei. Landwirtschaft und Industrie sind überdurchschnittlich vertreten, der Dienstleistungssektor unterdurchschnittlich. Viele Gemeinden sind Steuerhöllen, in Röthenbach etwa liegt die Anlage bei 2,00 Einheiten. Jedes Jahr fliessen aus den reichen Gemeinden des Kantons 40 Millionen Franken ins Emmental. Keine Gegend erhält mehr Geld aus dem kantonalen Finanzausgleich. «Das ist beschämend», sagt Peter Jakob.

Erstaunt ist er nicht. Gerade im Oberemmental fehle es an Industriegebieten. Er kennt keine Firma, die dort in den letzten Jahren angesiedelt wurde. Zudem seien in den vergangenen Jahrzehnten viele Gewerbebetriebe aus den Bereichen Käse, Textil, Leder und Rundholz verschwunden. «Man hat es geschehen lassen und nichts dagegen unternommen.»

Der Klub, die SCL Tigers, verbindet die ganze Region. Alle kommen ins Stadion: Die Stimmung erinnert an eine grosse Dorfbeiz.

Gärtlidenken und Missgunst

Woran krankt das Emmental? Jakob nennt ein Beispiel: Er möchte in Langnau ein Eissportzentrum mit internationaler Ausstrahlung errichten. Dafür benötigt er ein zweites Eisfeld und eine Unterkunft. Doch das Projekt löst keine Begeisterung aus. Lieber wird genörgelt, dass die Bauern mit ihrer Markthalle, wo sie Viehschauen abhalten, nach Schüpbach umziehen müssten.

Zudem habe der Curlingclub wegen des Eisstadionumbaus vor ein paar Jahren schon nach Zollbrück ausweichen müssen. Alle Orte liegen jedoch nur ein paar Kilometer entfernt. Für Jakob zeigt sich hier die Emmentaler Mentalität. Neuem gegenüber sei man skeptisch eingestellt. «Man macht lieber auf Gring ache.» Gärtlidenken und Missgunst seien weit verbreitet. «Man schaut nicht darauf, dass es allen besser geht, sondern allen etwas weniger gut.»

Berns Ränder

Im Kanton Bern traten jüngst wieder Differenzen zwischen Stadt und Land auf, als über den Kantonsbeitrag an das Tram von Bern nach Ostermundigen abgestimmt wurde. Darum blickt der «Bund» vor den kantonalen Wahlen vom 25. März 2018 in einer mehrteiligen Serie in verschiedene Landesteile: Berner Jura, Biel-Seeland, Emmental, Oberaargau und Oberland. Ziel dieser Serie ist es, die (Rand-)regionen den Leserinnen und Lesern aus Stadt und Agglomeration Bern näher zu bringen. Die Region Bern-Mittelland mit dem Zentrum Stadt Bern wird darum bewusst ausgeklammert. (ad)

«Man kann Hügel nicht einfach platt machen.»

Elisabeth Zäch war Stadtpräsidentin in Burgdorf und SP-Grossrätin. Die Ostschweizerin lebt seit vielen Jahren in Burgdorf und hat das Emmental lieb gewonnen.

Elisabeth Zäch war Stadtpräsidentin in Burgdorf und SP-Grossrätin. Die Ostschweizerin lebt seit vielen Jahren in Burgdorf und hat das Emmental lieb gewonnen.

Elisabeth Zäch war Stadtpräsidentin in Burgdorf und SP-Grossrätin, mittlerweile führt die 63-Jährige wie früher eine Buchhandlung. «Das Emmental muss das einstecken, was der Kanton Bern auf nationaler Ebene einsteckt», sagt sie und denkt dabei an die Milliarde, die Bern jedes Jahr aus dem nationalen Finanzausgleich erhält. Es stört sie, wenn dem Emmental immer nur die Schwächen vorgehalten werden. Das sei demotivierend. Die Probleme seien strukturell bedingt. «Man kann die Hügel nicht einfach platt machen.»

Zäch stammt ursprünglich aus der Ostschweiz, lebt aber seit vielen Jahren in Burgdorf und hat das Emmental lieb gewonnen. «Es ist eine Perle mit seiner schönen Landschaft, den prächtigen Bauernhöfen und den immer noch ursprünglichen Dörfern.» Die Leute seien allgemein zupackend und gäben ihr Bestes. Zäch zählt als Beispiel die Bauern auf, die ihre Höfe auf Bioproduktion umstellen, Besenbeizli führen oder sonstige Events durchführen. «Das sind wichtige kleinere Zeichen, aber die grossen gibt es auch.» Sie meint damit die Unternehmen, die in ihrem Bereich zu den Besten gehören und sich international behaupten. «Im Emmental steckt viel Kraft, auch Innovationskraft.»

Damit sind Firmen wie Kambly, Ypsomed, PB Swiss Tools oder Blaser Swisslube gemeint. Auch Tigers-Präsident Jakob ist ein erfolgreicher Unternehmer. Seine Jakob AG stellt Drahtseile her, die man beim Cliff-Walk auf der First in Grindelwald, in einem New Yorker Park und sogar am Eiffelturm in Paris findet. «Vorwärts brachte uns der Gang ins Ausland», sagt der 62-jährige Jakob. In der Niederlassung in Saigon beschäftigt das Unternehmen 460 Personen.

Den Hauptsitz mit seinen 70 Arbeitsplätzen von Trubschachen an einen anderen Ort zu verlegen, ist jedoch kein Thema. Jakob schätzt die Loyalität seiner Mitarbeitenden aus dem Emmental, jetzt gerade investiert er Millionen in einen Neubau.

«Das Emmental muss das einstecken, was der Kanton Bern auf nationaler Ebene einsteckt.»

Berns harte Hand

Es gab eine Zeit, da war das Emmental sogar der wirtschaftlich am besten entwickelte Teil des Kantons Bern. Der Export von Tuch, Käse, Holz und Pferden führte im 17. und 18. Jahrhundert zu Wohlstand. Dann kam aber die Konkurrenz durch Fabriken auf, über dem Emmental breitete sich im 19. Jahrhundert die von Jeremias Gotthelf beschriebene Armennot aus.

Erst spät schaffte das Emmental den Sprung in die Moderne. Im Weiteren zeigt der Blick in die Geschichte, dass das Verhältnis zur Berner Obrigkeit zuweilen schwierig war. Als Untertanengebiet hatte das Emmental im Mittelalter kaum Rechte, die Bevölkerung litt unter der harten Hand der Vögte. 1653 erhoben sich die Emmentaler im Bauernkrieg. Der Aufstand wurde militärisch niedergeschlagen, Bauernführer Niklaus Leuenberger hingerichtet. Auch die Täufer, deren Bewegung im Emmental stark verbreitet war, wurden während Jahrhunderten von der Obrigkeit verfolgt.

Heute noch haben die Emmentaler viel weniger Einfluss auf die Kantonspolitik als die Oberländer. In den letzten 118 Jahren gab es lediglich zwei Regierungsräte aus dem Emmental. In der Region ist die SVP mit Abstand die stärkste Partei, bei den letzten Wahlen betrug ihr Wähleranteil rund 40 Prozent. In vielen Gemeinden stellt die SVP den Präsidenten und die Mehrheit im Gemeinderat. Nur in Burgdorf gibt es einen roten Fleck mit einem SP-Stadtpräsidenten und einer Rot-Grün-Mitte-Mehrheit.

Die Linken profitierten in den letzten Jahren von Zuzügern, die im Raum Bern keine passende Wohnung fanden und in Burgdorf das Kleinstädtische und die gute Verkehrsanbindung schätzen. Bis vor kurzem hatte auch Langnau, das zweite Zentrum im Emmental, einen SP-Gemeindepräsidenten. Bernhard Antener wurde aber nach 24 Jahren im Amt von einem SVP-Politiker abgelöst.

Die Shoppingmeile mit Ikea, Media-Markt und Coop-Zentrum spielen eine wichtige Rolle in der regionalen Wirtschaft.

Entwicklungshilfe mit Strasse

Ausgerechnet Zäch und Antener, die beiden Sozialdemokraten und Alt-Grossräte, waren in den letzten Jahren die politischen Anführer des Emmentals. Dabei zeigte sich, dass der Kampfgeist von früher noch immer vorhanden ist. Als der Kanton Burgdorf die Fachhochschule wegnehmen wollte oder mit der Schliessung des Spitals Langnau drohte, standen die Politiker im ganzen Tal über die Parteigrenzen hinweg zusammen und wehrten sich.

Dabei wurden Lösungen gefunden, ohne dass es zu einem Kahlschlag kam. «Die Solidarität im Emmental ist gross», sagt Zäch. Ein weiterer Erfolg ist die Verkehrssanierung. Nach jahrelangem Kampf erhalten Oberburg und Hasle-Rüegsau Umfahrungsstrassen, in Burgdorf werden bestehende Strassen ausgebaut. Die Kosten belaufen sich auf über 400 Millionen Franken. Die Emmentaler brachten das Projekt ohne kantonale Volksabstimmung durch – im Gegensatz zum Oberaargau. Die neuen Strassen könnten nach ihrem Bau insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung im Oberemmental begünstigen.

Unten, in der Region Burgdorf, wo sich das Tal der Emme öffnet, ist vor einigen Jahren gar ein Boom ausgebrochen. Nahe der Autobahn befindet sich das Zentrum der regionalen Wirtschaft. Zwischen 2001 und 2012 wurden dort fast 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen – während im Oberemmental die Zahl abnahm. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Shoppingmeile mit Ikea, Media-Markt und Coop-Zentrum.

Lyssach oder Kirchberg profitierten stark, sie sind die einzigen Gemeinden im Emmental, die in den kantonalen Finanzausgleich einzahlen. Lyssach gehört mit einer Steueranlage von 1,29 Einheiten sogar zu den Topadressen im Kanton. Selbst die SCL Tigers überlegten sich vor einiger Zeit, aus wirtschaftlichen Gründen nach Lyssach zu ziehen und dort ein neues Stadion zu bauen. Die damalige Clubführung sah nach heftigen Protesten aber davon ab. Im Emmental mochte niemand «Ho, ho, hopp Lyssach» rufen.

Emmental in Zahlen

Finanzhilfe: Fr. 411.– pro KopfZum Verwaltungskreis Emmental gehören 40 Gemeinden von Schangnau bis Bätterkinden. Auf einem Gebiet von 691 km² leben rund 97 000 Menschen. Es gibt etwa 38 000 Vollzeitstellen. 11 Prozent der Beschäftigten sind in der Landwirtschaft tätig, 35 Prozent im Industrie- und 54 Prozent im Dienstleistungssektor. Das Bruttoinlandprodukt lag 2016 bei 55 353 Franken pro Kopf. 2017 wurden aus dem kantonalen Finanzausgleich 411 Franken pro Kopf ausbezahlt. Im Grossen Rat hat die Region 15 Sitze. Die SVP holte bei den letzten Wahlen 6 Sitze, SP und BDP je 2 – EDU, EVP, FDP, GLP und Grüne je 1 Sitz. (ad)

Impressum

Text: Adrian Schmid
Fotos: Franziska Rothenbühler, Adrian Moser und Manu Friederich
Umsetzung: Céline Rüttimann und Simon Preisig

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Text: Adrian Schmid
Fotos: Franziska Rothenbühler, Adrian Moser und Manu Friederich
Umsetzung: Céline Rüttimann und Simon Preisig

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