Was nach ihrem Tod passiert

Bild: Franziska Rothenbühler

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Wenn Haustiere sterben, kommt einiges ins Rollen.

Bild: Keystone

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Eine Reportage über mysteriöse Fälle auf der Tierkadaverstelle.

Bild: Franziska Rothenbühler

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Permanente Seuchengefahr in Lyss

Bild: Adrian Moser

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Und animalischer Kremation

Bild: Franziska Rothenbühler

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Von Martin Erdmann

An der Wand des kleinen Büros hängt ein Tierkalender. Auf dem August-Blatt patscht sich eine Robbe fröhlich die Flosse ins Gesicht. Tiere, die hier abgegeben werden, sind nicht fröhlich. Sie sind tot. Hans Gantenbein nimmt ihre Kadaver entgegen. Er ist technischer Leiter der Tierkörpersammelstelle und der daran anschliessenden Tierpathologie in der Berner Länggasse. Seit sieben Jahren arbeitet er hier. Mit toten Tieren hat er aber schon sein ganzes Berufsleben zu tun gehabt – zuerst als Landwirt, dann als Metzger. Dennoch: «Ich werde mich wohl nie ganz daran gewöhnen können, den ganzen Tag von Kadavern umgeben zu sein.» Neben seinem Computer liegt ein Blatt, auf dem er die Anlieferungen des Tages notiert. 28 Hühner, ein Fuchs, ein Reh, ein Hund. In den nächsten Stunden werden noch eine Kuh und ein Kaninchen dazukommen. «Ein normaler Tag», sagt Gantenbein.

Jede Schweizer Gemeinde ist dazu verpflichtet, ihren Einwohnern eine Sammelstelle für tote Tiere zur Verfügung zu stellen. In der Länggasse werden gleich für mehrere Gemeinden Kadaver gesammelt. Tiere aus Bern, Bremgarten, Bolligen, Ittigen, Muri-Gümligen und Ostermundigen werden nach ihrem Ableben hierher gebracht. Hier, in diesen hohen Raum mit grauen Betonwänden, von denen sieben Neonröhren kaltes Licht absondern. In einer Vertiefung im Boden steht eine Mulde, auf der ein schwarzer Metalldeckel lastet. Im Raum hängt der strenge Geruch von Desinfektionsmittel. Der beunruhigende Duft von etwas fremdartigen mag er jedoch nicht überdecken.


Hans Gantenbein, Technischer Leiter der Tierkörperabgabestelle in der Berner Länggasse.


Gantenbein nimmt tote Haustiere aus sechs Berner Gemeinden entgegen.

Bild: Franziska Rothenbühler

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Hund, Katze, Känguru

Eigentlich wollte Gantenbein den Muldendeckel während des Interviewtermins nicht öffnen. Um zu zeigen, woher dieser eigenartige Geruch stammt, tut er es dennoch. Je höher sich der Deckel hebt, desto schärfer beginnt sich in der Dunkelheit des Muldeninnere ein Tierkörper abzuzeichnen. Es ist eine Kuh, die nur noch schwierig als solche zu erkennen ist. «Aus Platzgründen musste sie zerkleinert werden.» Und dann kommt der Geruch. Es ist der penetrante Gestank der Verwesung. Auch nach sieben Jahren bereitet er Gantenbein noch Mühe. Doch wenn die Mulde zu ist und nur der Restduft des Todes in der Luft hängt, setzt wieder Normalität ein. «Das rieche ich nicht mehr.» Es sei denn, er kommt gerade aus den Ferien zurück. «Dann brauche ich ein, zwei Tage, um mich wieder daran zu gewöhnen.»

Nach dem Tod sind alle Tiere gleich. Zumindest in der Mulde der Tierkörpersammelstelle. Neben Zoo- und Nutztiere finden auch Haustiere den Weg in die Versenkung. Nicht nur Hunden und Katzen, ebenso allerhand Exoten: «Echsen, Schlangen, Chinchillas und sogar Wallaby Kängurus wurden hier abgegeben.» Wie viele Tiere es jährlich sind, will Gantenbein aus Datenschutzgründen nicht sagen.

«Das rieche ich nicht mehr.»

Bild: Franziska Rothenbühler

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Nachbarn unter Mordverdacht

Mit toten Haustieren kommt auch die Trauer in die Länggasse. Oft sieht sich Gantenbein als Seelsorger. «Man muss sich in die Lage des Menschen versetzen können und Verständnis zeigen.» Manchmal komme es aber anders, als man denke. Zum Beispiel beim Besuch einer alten Dame, die ihre tote Katze brachte. «Sie war froh, dass die Katze überfahren worden war. Das Tier habe immer überall hingemacht.» Und dann war da noch der mysteriöse Fall einer toten Katze, welche die Polizei bei ihm abgab. In solchen Fällen ist es an Gantenbein, die Besitzer anzurufen. Diese können über einen Erkennungschip ermittelt werden, der in der Haut der Katze eingesetzt wurde. Jenes Telefongespräch nahm jedoch eine überraschende Wendung. «Die Frau sagte bloss, dass ihre Katze gerade neben ihr am Fressen sei.» Gantenbein glaubt, dass der Chip verwechselt wurde. Der wahre Halter des Tieres wurde nie gefunden.

Immer wieder werden bei Gantenbein Hunde abgegeben, deren Besitzer sich sicher sind, dass ihre Tiere vom Nachbarn vergiftet wurden. In solchen Fällen übernimmt die Pathologie und kommt oft zu einem anderen Ergebnis. «In 80 Prozent der Fälle ist die Todesursache eine andere», sagt Gantenbein. Zum Beispiel eine gerissene Aorta oder ein Tumor auf der Lunge.


In der Pathologie wird bewiesen, dass nicht jeder Nachbar ein Hundevergifter ist.

Bild: Adrian Moser

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Die letzte Reise

Die Kadavercontainer in der Länggasse werden zweimal pro Woche abgeholt. Per Lastwagen werden sie in das hintere Ende des Industrieareals in Lyss gefahren. Hier liegt die GZM Extraktionswerk AG, der Ort, wo die Tiere in Wasser, Protein und Fett verwandelt werden. Georg Herriger ist Mediensprecher des Unternehmens, trägt ein Hawaiihemd und will zuerst etwas klarstellen, bevor er durch die Fabrik führt. «Man sollte der GZM nicht vorwerfen, gefühlskalt zu sein.» Es sei wichtig, zwischen dem emotionalen Verlust der Haustierhalter und den hygienischen Aufgaben der Öffentlichkeit zu unterscheiden. «Für die Öffentlichkeit ist der Tod eines Tieres kein Drama, sondern eine Aufgabe.» Diese bestehe darin, Tierkadaver hygienisch einwandfrei zu verwerten.

Auf dem GZM-Areal gehört der Ausnahmezustand zum Alltag. Das hat mit dem heiklen Arbeitsmaterial zu tun. Was angeliefert werde, sei immer ungewiss, sagt Herriger. «Das kann ein Lieblingsbüsi oder aber auch ein räudiger Fuchs sein.» Deshalb werde immer vom Schlimmsten ausgegangen und alles wie hoch infektiöse Ware behandelt. «Im Falle einer Tierseuche würden wir genauso arbeiten wie bisher.» Vor dem Empfangshäuschen steht eine Lastwagenwaage, auf der die angelieferte Ware gewogen wird. Die Lieferung wiegt 38000 Kilogramm. Es sind die Überreste geschlachteter Tiere. Was im Schlachthof keine Verwertung mehr findet, landet in Lyss. 


Hier werden jährlich 90'000 Tonnen Fleisch verarbeitet.


Durch ein mehrstufiges Verfahren werden die Tiere in ihre Grundelemente zerlegt.

Bild: Adrian Moser

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90’000 Tonnen totes Fleisch

Das ganze Gebäude steht unter Unterdruck. «Die Luft wird also eingesaugt und gereinigt», sagt Herriger. Grund ist der Geruch. 90000 Tonnen totes Tier wird hier jährlich verarbeitet – und so riecht es auch. Deshalb wird das Hallentor sofort wieder geschlossen, nachdem der Lastwagen rückwärts hineingerollt ist. Er richtet die Öffnung seines Containers auf eine Mulde. Ein Arbeiter schraubt den Verschluss vorsichtig auf. Zuerst kommt wässriges Blut, das sich während des Transports auf dem Containerboden angesammelt hat. Danach folgt eine Lawine undefinierbarer Fleischstücke. Ihr Geruch füllt die Halle und greift problemlos bis hinter die Glasscheibe der Betriebszentrale, wo über alles, was nun folgt, gewacht wird. Die Mulde führt in Schächte, in denen das Fleisch zerhackt und sterilisiert wird. «Kein Stück darf grösser als sein als fünf Zentimeter», sagt Herriger.

Dann beginnt die Zerlegung des Fleisches in seine Grundbestandteile. «Dazu braucht es viel Wärme», sagt Herriger, während er durch die Energiezentrale läuft. Hier wird die Hitze erzeugt, mit der das Wasser aus dem sterilisierten Fleischbrei getrieben wird. Betrieben wird die Zentrale teils mit Erdgas, teils mit Tierfett, das eben durch diesen Prozess gewonnen wird.

Bild: Adrian Moser

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Tierischer Antrieb

Der Wasserentzug verwandelt die Überbleibsel der Tiere in eine trockene Masse. «Es ist eine Mischung aus Fett und Protein.» Diese werden durch einen Pressvorgang voneinander getrennt. Was einst Haus- oder Schlachttier war, erfüllt nun, in seine Elemente zerlegt, neue Aufgaben. Tiermehl, also das Protein, hat etwa den Brennwert von Braunkohle. «Es wird in Zementöfen als Brennstoff gebraucht.» Das Fett landet in den Motoren der GZM-Lastwagen. «Unsere gesamte Flotte fährt ausschliesslich mit Biodiesel auf Tierfettbasis.» Deshalb sieht Herriger seinen Arbeitgeber als ökologische Insel. «Hier kommt problematische Ware rein und wird zu ökologischem Brenn- und Treibstoff verarbeitet.»

Doch trotz aller Begeisterung für diesen Prozess: Seine Haustiere wird er nach deren Ableben nicht der Tierkörpersammelstelle übergeben. «Die werden im Garten unter dem Magnolienbaum begraben – oder ich lasse sie kremieren.»

«Meine Tiere werden begraben oder kremiert.»

Bild: Franziska Rothenbühler

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Wo Tiere in die Urne kommen

Das orangefarbene Haus ist ein dezenter Farbtupfer im allgegenwärtigen Grau des Kirchberger Industriegebiets. Rechts neben den Parkplätzen liegt ein kleiner Kiesplatz. Um eine aufklappbare Luke versammeln sich steinerne Engelsfiguren, rote Grabkerzen, Abschiedsbotschaften. Die Luke wird nur geöffnet, um Asche hineinzuschütten. Es ist das Gemeinschaftsgrab des Tierkrematoriums Kirchberg. Das Unternehmen wird von Brigitte Hartmann Imgrüt geleitet und ist seit 2001 im Geschäft. Denn Feuerbestattung ist längst kein postmortales Privileg der Menschen mehr (siehe Interview). Auch tote Tierkörper werden immer öfter in den Brennofen geschoben. «Es ist kein boomendes Geschäft. Doch die Nachfrage steigt stetig leicht an», sagt Hartmann Imgrüt. «Wir kremieren etwa 150 Tiere pro Woche.»

Im hinteren Teil des Hauses stehen drei grüne Öfen. Im ältesten von ihnen finden die Sammelkremationen statt. Neben ihm steht ein Kessel mit ungemahlener Asche. «Ich würde sagen, das waren zwei bis drei Hunde und etwa zehn Katzen.» Hartmann Imgrüt kann gut abschätzen, wie viel Asche ein Tier nach der Verbrennung hinterlässt. «Es sind etwa vier bis sechs Prozent des Körpergewichts.» Danach richtet sich Hartmann Imgrüt, um den Kunden eine Urne in passender Grösse für ihr Tier anzubieten. Viele nehmen die tierischen Überreste jedoch in kargen Holzschachteln mit. «Die Asche verstreuen sie dann an einem Lieblingsort ihres Tieres oder vergraben sie.»


Brigitte Hartmann Imgrüt bietet seit 2001 Tierkremation an.

Bild: Franziska Rothenbühler

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Kein Platz für Elefanten

Starre Augen und erschlaffte Pfoten gibt es hier nur zu sehen, wenn die Besitzer ihre Tiere persönlich vorbeibringen. Die grosse Mehrheit der Tiere kommt jedoch direkt vom Tierarzt, verpackt in weisse Säcke, die bis zur Kremation im Kühlraum gelagert werden. Einer der Säcke wird gerade in den 850 Grad heissen Ofen für Einzelkremationen geschoben. «Ein Hund», sagt Hartmann Imgrüt. Das Feuer umhüllt den weissen Beutel im Bruchteil einer Sekunde. Etwas länger geht es, bis es seine Arbeit getan hat. «Einen Hund zu kremieren, dauert zwischen 30 und 90 Minuten.»

Die Liste von Tieren, die hier verbrannt wurden, liest sich wie ein Zoo-Inventar. Denn nicht nur Hund und Katze werden feuerbestattet. Schlangen, Schildkröten, Vögel, Tiger, Löwen und Pumas wurden hier schon verbrannt. Anfragen für Elefanten und einen Ochsen mussten jedoch abgelehnt werden. «Die passen nicht einmal in den Kremationsofen für Pferde.» Dieser ist ein landesweites Unikat mit einer Öffnung so gross wie ein Garagentor und einem Lastkran, der Tiere bis zu 1000 Kilo auf den ausfahrbaren Ofenboden hieven kann.

«Einen Hund zu kremieren dauert zwischen 30 und 90 Minuten.»

Bild: Franziska Rothenbühler

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Wenn die letzten Freunde gehen

Das Ereignis, das Hartmann Imgrüt zu diesem ungewöhnlichen Beruf brachte, liegt über 20 Jahre zurück. Ihre Katze wurde vor ihren Augen überfahren. Sie brachte das tote Tier in die Tierkörpersammelstelle. «Wie es dort ausgesehen hat, fand ich absolut unwürdig.» Der Empfangsraum ihres Krematoriums sieht entsprechend anders aus. Eine Sofagarnitur aus schwarzem Leder, Kerzen, Pferdebilder von Rolf Knie, Taschentücher stehen griffbereit. Eine Tür führt in den Abschiedsraum – für Kunden, die ihrem Tier in Ruhe Adieu sagen wollen.

Wie ist das, wenn die tägliche Arbeit aus Tod und Trauer besteht? «Viele Leute meinen, das müsse deprimierend sein. Doch bei aller Trauer ist es ein sehr schöner Beruf.» Ihre Kunden seien dankbar, hier Trost zu finden. Dennoch gibt es immer wieder Momente, mit denen Hartmann Mühe hat. Es sind jene Fälle, in denen alte Menschen mit dem Tod ihres Haustieres den letzten Freund verlieren. «Das finde ich immer sehr belastend.»


Der schweizweit einzige Kremationsofen, der gross genug für Pferde ist, steht in Kirchberg.

Wie weit darf die Vermenschlichung von Tieren gehen? Biologe Dennis T. Turner hat dazu klare Ansichten.

Dennis C. Turner, wieso halten wir Menschen überhaupt Haustiere?

Das Zusammenleben von Mensch und Tier greift zeitlich sehr weit zurück und ist über sämtliche Kulturen verbreitet. Das Haustier wurde schnell zu mehr als bloss einem Jagdbegleiter. Es wurde zu einem Gefährten. Schliesslich bringen Haustiere viele Vorteile, auch für die Gesundheit.

Sie sagen also, wer Haustiere hält, lebt gesünder?

Die positive Auswirkung von Haustieren auf den Menschen ist wissenschaftlich belegt. Nehmen wir beispielsweise die Katze. Studien haben gezeigt, dass sie bei Menschen Gefühle wie Angst reduzieren kann. Die Tiere sind sehr sensibel und können die psychische Verfassung von Menschen gut wahrnehmen.

Und was können Hunde?

Auch Hunde können einen wichtigen Einfluss auf die Psyche ihrer Halter haben. Das liegt schon nur an der Verantwortung, die ein Hund seinem Halter auferlegt. Dieser muss mit dem Tier jeden Tag hinausgehen. Dadurch bleibt man in Bewegung und trifft andere Menschen. Beides ist für die Psyche sehr gesund.

Ist es eigentlich nicht etwas wunderlich, dass Mensch und Tier friedlich unter einem Dach leben? Wie ist diese Bereitschaft zur Bindung überhaupt zu erklären?

Mensch und Tier weisen ähnliche Emotionen auf und verfügen über ein vergleichbares Hormonsystem. Sie sind sich also recht nahe. Deshalb können wir so gut Beziehungen mit Tieren eingehen. Sie können uns als wichtiger Teil unseres sozialen Beziehungsnetzes dienen und uns emotional stützen.

Umso härter muss es dann sein, wenn ein Haustier stirbt. Was können Sie dazu erzählen?

Das ist natürlich so. Wer dann nicht trauert, hatte keine enge Beziehung zu seinem Tier. Je stärker diese war, desto intensiver ist die Trauer. Das gilt übrigens für Reptilien zum Beispiel ebenso wie für Katzen und Hunde. Doch durch den Tod von Haustieren können auch andere Gefühle freigesetzt werden. Wie zum Beispiel Wut über den Autofahrer, der es überfahren hat, oder über den Tierarzt, der es nicht mehr retten konnte. Gleichzeitig kann der Tod aber auch etwas Erlösendes haben, wenn das Tier beispielsweise schwer krank war und nur noch gelitten hat.

Was halten sie von der Tierkremation?

Um aus meiner persönlichen Erfahrung zu sprechen: Ich hatte in meinem Leben viele Haustiere. Ich habe sie nach ihrem Tod alle bei der Tierkörpersammelstelle abgegeben. Bis auf die letzte Katze, die ich besessen habe. Die liess ich kremieren.

Ist das nicht etwas irrational?

Das war lange der gesellschaftliche Tenor, wenn es um diese Frage ging. Doch dieser hat sich stark gewandelt. Gefühle gegenüber Tieren zu zeigen wird immer selbstverständlicher. Selbst für Männer.

Anders herum: Sind Menschen, die ihre Tiere bei einer Tierkörpersammelstelle abgeben, kaltherzig?

Nein, auf keinen Fall. Es wäre völlig falsch, diesen Menschen eine enge Beziehung zu ihrem Haustier abzusprechen.Sie haben vielleicht einfach stärkere Nerven oder sind noch nicht so weit, dass sie sich mit einer Kremation ihres Tieres anfreunden können. Letztlich ist das eben ein sehr individueller Entscheid.

Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass Tiere immer öfter kremiert werden?

Das zeigt, dass das Bewusstsein, was uns Tiere alles geben können, stetig wächst. In vielen Haushalten leben Tiere als vollwertige Familienmitglieder. Das war früher noch nicht so. Natürlich hat das aber auch mit dem ansteigenden Wohlstand zu tun. Schliesslich kostet ein Tier, sowie seine Kremation, Geld.

Bevor es Tierkrematorien gab, war die Feuerbestattung den Menschen vorenthalten. Wie weit sollten Tiere vermenschlicht werden?

Diese Tendenz darf natürlich nicht überhand nehmen. Es gilt, Grenzen zu setzen. Die Würde des Tieres darf nicht angetastet werden. Wer seinem Tier eine Sonnenbrille aufsetzt oder es sonst verkleidet, geht klar zu weit. Aber es ist absolut menschlich, wenn wir eigene Gedanken und Gefühle in unser Tier projizieren. Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass das Tier nicht immer unsere Gedanken und Gefühle teilt.

Eine Tierurne im Wohnzimmer finden Sie also nicht problematisch?

Nein, dem Tier wird dadurch kein Schaden zugefügt. Eine Urne kann sogar einen positiven Effekt auf den Besitzer haben. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich habe auch eine Urne zuhause. Immer wenn ich an ihr vorbeilaufe, freue ich mich über die schöne Zeit, die ich mit meiner Katze hatte.

Was gibt es bei der Trauer zu beachten?

Trauer ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Wie lange eine Trauerphase dauert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Einige haben sie in wenigen Tagen hinter sich, andere sind nach einem Jahr noch nicht über ihren Verlust hinweg. Die Trauer zu akzeptieren ist dabei sehr wichtig. Viele tun das nicht und begehen dadurch schwere Fehler.

Was meinen Sie damit?

Es kommt immer wieder vor, dass verzweifelte Haustierhalter in ihrer Trauer versuchen, einen 1:1-Ersatz für ihr Tier anzuschaffen. Doch Tiere lassen sich nicht einfach ersetzen. Wie Menschen verfügen sie über völlig unterschiedliche Charaktere. Dennoch scheint dieses Bedürfnis gross zu sein. In den USA boomt sogar das Geschäft, verstorbene Tiere zu klonen. Die Kunden geben sich dabei bloss einer Illusion hin.

Text und Umsetzung: Martin Erdmann
Bilder: Franziska Rothenbühler, Adrian Moser

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