Frau Hungerbühler, für die Studie haben Sie sich monatelang mit der tamilischen Diaspora beschäftigt. Eine Einwanderungsgruppe, die bestens organisiert scheint – und entsprechend am besten integriert.
Das steht zuallererst die Frage, was man denn unter integriert versteht. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es da massive Unterschiede zwischen den Generationen und Einwanderungsetappen. Unter den ersten Leuten, die aus Sri Lanka zu uns kamen, erlebten nicht wenige einen beruflichen Abstieg: Sie waren Fachkräfte in ihrer Heimat und hatten hier nur Chancen im Tieflohnsektor. In der Gastronomie etwa oder in der Reinigungsbranche.

Und diese Leute stehen nun kurz vor der Pensionierung – mit tiefen Renten.
Das kommt einerseits durch die tiefen Gehälter, teils gekoppelt mit vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen gesundheitlich bedingter Arbeitsunfähigkeit. Zudem gibt es – wie bei anderen Migrationsgruppen auch – ein grosses Informationsdefizit punkto Sozialversicherungsrecht. Ergänzungshilfe wird etwa mit Sozialhilfe verwechselt.

Welche Rolle spielt die zweite Generation, spielen die hier geborenen Kinder der eingewanderten Tamilen?
Im Vergleich zu ihren Eltern erfährt sie einen sozio-ökonomischen Aufstieg. Hier aufgewachsen und schulisch sozialisiert, ist sie besser integriert, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Tamilinnen und Tamilen der zweiten Generation haben erlebt, dass ihre Eltern mit harter Arbeit dazu beigetragen haben, dass sie selber nun bessere Perspektiven haben. Dadurch fühlen sie sich moralisch umso mehr verpflichtet, der Elterngeneration etwas zurückzugeben.

Das Leben in Sri Lanka wäre mit der kleinen Pension deutlich einfacher zu bestreiten. Dennoch ist eine Rückkehr für viele kein Thema. Warum?
Bei unseren Befragungen kam klar heraus: Die Lage in Sri Lanka ist noch immer viel zu instabil für eine Rückkehr. Nach wie vor gibt es Gewalt, Kriminalität, politische Verfolgung. Zudem hat das Gesundheitssystem Mängel, eine gute Altersbetreuung und -pflege ist quasi inexistent. Und die familiäre Bande in der alten Heimat ist auch nicht mehr so stark wie früher. Die tamilische Diaspora lebt auf der ganzen Welt verstreut.

Nach wie vor fehlt auch ein Sozialversicherungsabkommen, das den Bezug von Schweizer Renten in Sri Lanka ermöglichen würde.
Das wäre ein nächster Schritt, der es erleichtern würde, den Leuten ihre Pension auch dort verfügbar zu machen. Aus dem Grund entscheiden sich viele auch für eine Pendelmigration – mit zwei, drei Monaten pro Jahr in Sri Lanka. Das Staatssekretariat für Migration, das unsere Studie mitfinanziert hat, will gestützt auf unsere Erkenntnisse die Frage eines Sozialversicherungsabkommens mit Sri Lanka dem Departement des Innern unterbreiten.

Welche Rolle spielt die grosse, sehr präsente Diaspora für die Tamilen in der Schweiz?
Eine wichtige. Einerseits bietet sie Rückhalt, emotionale Heimat, ein gut funktionierendes soziales Netzwerk – Integration eben. Andererseits bringt sie aber auch Normen und Regeln mit sich, welche vor allem von der zweiten Generation zunehmend infrage gestellt werden. Dazu kommen finanzielle Verpflichtungen, die zur Last werden können. Etwa die vielen und aufwendigen Feste, die zu organisieren sind, um «dazuzugehören». Sie sind mit teils enormen Kosten verbunden, da dazu auch die internationale Verwandtschaft kommt.

Erschwert die starke Diaspora die Integration?
Eine starke Diaspora mit gut funktionierendem Netzwerk ist wichtig. Es ist bekannt, dass Integration in die eigene Gruppe es erleichtert, sich auf die Mehrheitsgesellschaft einlassen zu können. Aber man kann die tamilische Diaspora nicht als homogene Gruppe ansehen. Die Leute haben unterschiedliche Migrationsbiografien und Lebenssituationen. Deshalb ist die Zusammenarbeit aller Akteure der Integrationsarbeit mit der tamilischen Diaspora so wichtig.