«Keine zweite Chance»

Die Beziehung des 58-Jährige Sozialhilfebezügers Bruno Cais leidet unter den knappen finanziellen Verhältnissen.

«Keine zweite Chance»
Bruno Cais hat gerade seine letzten 50 Franken abgehoben. Doch es dauert noch eine Woche, bis der Sozialdienst das Geld für die nächsten 30 Tage überweist. Das Problem ist nicht, dass er schlecht budgetiert hat, denn, so Cais: «Budgetieren, das kann ich.» Der 58-Jährige hat eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen und 35 Jahre lang im Finanz- und Rechnungswesen bei der Bundesverwaltung und angeschlossenen Betrieben gearbeitet.

Das Problem ist, dass der Sozialdienst ihm die Integrationszulage von 100 Franken noch nicht überwiesen hat. Das komme regelmässig vor. Einmal, Weihnachten 2017, kam sogar der Grundbedarf drei Wochen zu spät. Nicht aus bösem Willen, wie Cais betont, es herrsche einfach Chaos auf «seinem» Sozialdienst. «In den letzten vier Jahren waren neun verschiedene Sozialarbeiterinnen und -arbeiter für mich zuständig.»

Für Cais sind solche Situationen nicht existenziell. Er hat Familie, Freunde und eine langjährige Partnerin, die ihm in solchen Momenten beistehen. Und er kennt auch seine Rechte. Den anderen Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger, mit denen er ein Beschäftigungsprogramm absolviere, ergehe es schlechter. Darunter Drogensüchtige, Leute ohne Deutschkenntnisse oder einfach Menschen mit äusserst bescheidenen intellektuellen Fähigkeiten. «Die können sich nicht wehren und sind völlig ausgeliefert und vereinsamt», sagt Cais. Diesen Leuten zuliebe sei er auch bereit, sich porträtieren zu lassen, um gegen die geplanten Kürzungen zu kämpfen. «Wir leben bereits voll am Anschlag – da gibt es nun wirklich keinen Spielraum für eine Senkung.»

«Ich habe weit über 250 Bewerbungen geschrieben, aber keine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erhalten.»

Beziehung leidet unter Armut

Nur Vorteile hat ein bürgerliches Umfeld aber nicht. Denn dieses kann sich ein normales Leben leisten. An den gemeinsamen Aktivitäten kann er aber aus Geldmangel häufig nicht teilnehmen. «Wenn ich auswärts essen gehen will, muss ich mir das Geld einen Monat lang absparen. Das geht nicht spontan.» Darunter leide bisweilen auch seine Beziehung.

Doch wieso ist dieser Mann überhaupt von der Sozialhilfe abhängig? Cais ist geistig voll auf der Höhe, spricht ruhig, argumentiert präzis und ist angenehm im Umgang. «Ich habe ein Finanzdelikt begangen», sagt er, «Gelder veruntreut.» Es flog auf, Cais wurde fristlos entlassen und vor Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Darauf folgten eine Depression, Alkoholismus – «der totale Absturz».

Das war vor fünf Jahren. Mittlerweile hat er sich wieder gefangen. Doch «eine zweite Chance» erhielt er nicht. «Ich habe weit über 250 Bewerbungen geschrieben, aber keine einzige Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erhalten.» Schliesslich steht in seinem letzten Arbeitszeugnis, dass er die Stelle wegen «delinquentischen Verhaltens» verlor. Und weil er bei diesem Arbeitgeber acht Jahre lang gearbeitet hat, ist das Zurückhalten des Arbeitszeugnisses auch keine Lösung.

Cais glaubt denn auch nicht, dass er noch eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt findet. Er arbeitet derzeit 50 Prozent in einem Beschäftigungsprogramm. Ziel des Programms ist es, den Leuten eine Tagesstruktur zu verleihen und sie langsam wieder ans Erwerbsleben heranzuführen. Cais hätte das nicht nötig. Die Arbeit gefällt ihm trotzdem. Vor allem, weil er dort die anderen Bezügerinnen und Bezüger unterstützen kann. «Ich helfe ihnen bei Behördenbriefen und bin so etwas wie die Klagemauer.» Nun möchte er sich auch in der Freiwilligenarbeit engagieren. Der Sozialdienst habe sich bereit erklärt, dies auch als Beschäftigung anzuerkennen. «Es ist also auch nicht alles schlecht», sagt er.

Text: Fabian Christl, Dölf Barben Bilder: Adrian Moser Umsetzung: Carlo Senn, Christian Zellweger

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