«Aufgeben kommt nicht infrage»

Regula Walther (49) ist optimistisch, bald eine Stelle zu finden und nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig zu sein.

Hach, das war ein schöner Abend. Regula Walther strahlt übers ganze Gesicht, als sie davon erzählt, obwohl er schon mehrere Wochen zurückliegt: Ihre Freunde hatten sie ausgeführt, zuerst ins Restaurant, danach nach Bern an die Tanznacht. Einer bezahlte das Essen, eine das Trinken und ein dritter den Eintritt. Seit sie von der Sozialhilfe abhängig sei, könne sie sich das nicht mehr leisten. «Dabei tanze ich doch so gerne.»

Der Tag, an dem sie den Journalisten traf, fing dafür alles andere als gut an. «Zwei Absagen habe ich heute bekommen», sagt sie. Aber Aufgeben komme nicht infrage. «Ich habe bis jetzt immer etwas gefunden, ich bin mir auch nicht zu schade, um zu arbeiten.»

Walther ist 49 Jahre alt. Aufgewachsen ist sie in ärmlichen Verhältnissen. Sie hat eine Ausbildung als Modeverkäuferin absolviert, wurde aber bald nach der Ausbildung schwanger. Kurze Zeit nach der Geburt des zweiten Sohnes folgte die Trennung – und für Walther der Gang auf das Sozialamt. Doch bald kam sie wieder los. «Ich habe seither immer gearbeitet, wenn auch meist nur in einem kleinen Pensum.» Dank einer zeitweiligen neuen Partnerschaft und den Alimenten reichte es so knapp zum Leben.

Doch die Gesundheit spielt nicht mehr mit. Ein Autounfall bescherte ihr dauernde Rückenschmerzen. Weitere gesundheitliche Probleme gesellten sich dazu. Sie musste sich ein halbes Jahr krankschreiben lassen. Doch es wurde nicht besser. «Ich kann keine schweren Dinge mehr über lange Zeit tragen.» Soweit es die Gesundheit zulässt, trägt sie ein- bis zweimal pro Woche Zeitungen aus.

«Ich hasse es, auf diese Ämter angewiesen zu sein. Ich bin dann nicht mehr Herr und Meister meines eigenen Lebens.»

Mit den Händen arbeiten

Weil das Geld von der Arbeitslosenversicherung nicht reicht, erhält sie seit Anfang Jahr Sozialhilfe. Auch eine Abklärung bei der IV ist am Laufen. Doch die Auseinandersetzung mit den Behörden überfordert sie. «Ich habe deswegen schon einen schweren Kopf.» Für Walther ist denn auch klar: Sie möchte so schnell wie möglich eine Stelle finden. Doch sie ist in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Fragen des Journalisten versteht sie nicht immer auf Anhieb. Ein Bürojob käme nicht infrage, sagt sie. «Von Computern habe ich keine Ahnung.» Sie müsse etwas mit den Händen machen.

Seit kurzem lebt sie in Münsingen, in einer bescheidenen, aber gemütlichen Wohnung. Diese kann sie sich aber nur leisten, weil der jüngere, 24-jährige Sohn noch bei ihr lebt. Er arbeitet als Strassenbauer und muss seine Mutter teilweise mitfinanzieren – so verlangt es der Sozialdienst. Für Walter, der die eigenen Söhne immer das Wichtigste gewesen seien, ist das nicht leicht zu ertragen. «Er ist jung, er soll leben.» Damit sie ihm nicht zu stark zur Last fällt, esse sie an manchen Tagen auch nur ein Stück Brot.

Umso schwerer zu ertragen sind für sie gewisse Reaktionen auf ihre Situation. Ein Vermieter habe ihr empfohlen, die Katze wegzugeben, weil die ja nur koste. «Dabei ist mein Büsi mein Seelentröster.» Auch vom Sozialdienst habe sie nicht nur Verständnis gespürt. «Aber meine jetzige Beraterin ist sehr nett, sie wollte sogar wissen, wie es mir geht.» Dass es Leute gibt, die das Gefühl haben, Sozialhilfebezügerinnen hätten es zu gut, ist für sie nicht nachvollziehbar. «Das können nur Leute denken, die noch nie in einer solchen Situation waren.» Dabei seien die finanziellen Einschränkungen nicht einmal das Schlimmste. «Ich hasse es, auf diese Ämter angewiesen zu sein. Ich bin dann nicht mehr Herr und Meister meines Lebens.»

Trotz der misslichen Lage: Die Hoffnung hat Walther noch nicht aufgegeben. Das sagt sie und das strahlt sie auch aus. Vielleicht ist es schon bald so weit. Sie hat sich auf eine Stelle in einer Cafeteria beworben. Dort könnte sie die ganze Woche halbtags arbeiten. «Das wäre unglaublich schön, wenn ich diese Stelle bekäme», sagt sie – und strahlt.

Text: Fabian Christl, Dölf Barben Bilder: Adrian Moser Umsetzung: Carlo Senn, Christian Zellweger

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