Zu Besuch beim Abfallpapst

Rainer Bunge ist einer der renommiertesten Abfallforscher Europas.

In seinem Labor an der Technischen Hochschule Rapperswil tüftelt er an Abfalltrennsystemen.

Recycling ist für ihn manchmal auch «Ablasshandel» oder «ideologischer Irrsinn».

von Christoph Aebischer


Halbzeit beim Selbstversuch zum Stadtberner Farbsack-Trennsystem. Und der richtige Zeitpunkt für eine erste Erfolgsmeldung: Es ist mir tatsächlich gelungen, den Müll im blauen Gebührensack um die Hälfte zu reduzieren. Ich staune. Allerdings ist der Aufwand beträchtlich, insbesondere bei den Plastikverpackungen. Zudem durchschaue ich nicht ganz, was wirklich in den für Kunststoff vorgesehenen senfgelben Sack gehört und was nicht. Nicht gerade die ideale Voraussetzung, um meine Kinder zu instruieren. Deshalb ist unsere Bilanz nicht perfekt.

Immerhin entstehen – seit wir das Trennsystem mit seinen sechs farbigen Säcken testen – interessante Gespräche über Abfall vor dem neuen Kehrichtmöbel in der Küche. Und eigentlich möchten wir genauer wissen, wie viel dieser Pilotversuch der Stadt wirklich taugt. Was und wie viel nützt er der Umwelt? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, reise ich nach Rapperswil am Zürichsee. Genauer an die Hochschule für Technik, wo Professor Rainer Bunge forscht und lehrt. Salopp gesagt, ist er der Abfallpapst der Schweiz. In Europa existieren nur eine Handvoll anderer Adressen, die sich mit seinem Institut messen können.

Bunges Labor gleicht eher einer Werkstatt.

Der Professor verteilt in der Industriehalle vor der Vorführung seiner Maschinen erst einmal Ohrstöpsel. Die massigen Apparate sind meist in drei Teile gegliedert: Zuerst werden sie gefüttert, dann wird der Abfallmix zur Sortierungsanlage transportiert und danach separiert in Boxen aufgefangen. Die Gerätschaften tragen klingende Namen wie Wirbelstrom- oder Sensor-Abscheider. Nichts scheint ihnen unmöglich. Wie von magischer Hand spicken sie Aludosen in den richtigen Behälter oder erkennen in Sekundenbruchteilen beschichtete und leitende Platinen aus Handys. Dann knallt es wie im Schützenhaus: Druckluftdüsen blasen die Leiterplatten mit ihren kostbaren Metallkontakten gezielt in den hinteren Kübel, während der Plastik im vorderen landet.

Nach der Vorführung kommen die Stöpsel wieder raus aus den Ohren. Denn Zuhören lohnt sich. Rainer Bunge gehört zu jenen Forschern, die Klartext reden. Recycling ist für ihn auch einmal «Ablasshandel» oder «ideologischer Irrsinn». Ablasshandel dann, wenn jemand akribisch seinen Müll trennt und mit dem Flugzeug in die Ferien fliegt. Oder Irrsinn, wenn die deutschen Nachbarn systematisch ein Kunststoff-Recycling aufziehen und die Augen verschliessen vor wissenschaftlichen Analysen wie seiner: «Wer ein Jahr lang konsequent Kunststoff sammelt, tut für die Umwelt etwa so viel, wie wenn er ein Steak weniger isst oder 30 Kilometer weniger Auto fahren würde.» Der Nutzen ist also marginal. Besonders störend aus meiner Sicht als Steuerzahler wird dies, wenn ich sehe, dass die öffentliche Hand für das Kunststoff-Recycling trotz magerem Resultat sogar Geld ausgeben muss. Meine Erkenntnis daraus: Den senfgelben Sack des Berner Pilotversuchs kann ich also getrost beiseite lassen. Schlechtes Gewissen überflüssig.

Bunges Messungen und Berechnungen zeigen aber auch, wo sich Recycling lohnt beziehungsweise wo es Sinn macht für die Umwelt. Am meisten ist dies beim Blech der Fall, aber auch beim Papier oder Glas geht die Rechnung auf. Der graue Sack, der beige und der violette beim Farbsack-Trennsystem haben also durchaus ihre Berechtigung. Nur knapp lässt sich der rote für PET-Flaschen rechtfertigen.

Paradoxerweise gibt es aber beim Recycling einen Bereich, für den die öffentliche Hand Geld ausgibt, obwohl die Umwelt eher stärker Schaden nimmt als ohne, bei einigen Grüngutsammlungen nämlich. Warum es so was gibt? Da beginne die Politik, meint Bunge. Deren Ergebnisse müssen nicht zwingend zweckmässig sein. Sein Fazit zum Recycling-Hype: «Wir versuchen ein Problem zu lösen, das es so gar nicht gibt.» Ein Land wie die Schweiz mit funktionierender Kehrichtentsorgung in Verbrennungsanlagen mache fast alles richtig. Aus dem Abfall werde bei aufwendiger Reinigung der Abgase Wärme und Elektrizität gewonnen. Das Hauptproblem sei sowieso nicht der Abfall, sondern unser Konsumverhalten.

Da drängt sich natürlich eine Frage auf: Herr Bunge, welchen Sinn hat dann Recycling-Forschung überhaupt? Darauf ist er vorbereitet: Mit Recycling lasse sich auch Geld verdienen. Handyplatinen mit Lötstellen aus Gold seien pro Tonne schnell einmal 5000 Franken wert. Dafür lohne sich auch die Anschaffung eines Sensorabscheiders, auch wenn dieser eine Million Franken koste. An Unsinn grenzt für Bunge jedoch, diese teure Maschine zur Trennung von Kunststoffen zu verwenden. Dort zahlt jemand drauf, und der Nutzen für die Umwelt ist erst noch verschwindend klein.

Professor Bunge erinnert mich an einen Goldwäscher. Zurück in seinem Büro am See, sehe ich mich bestätigt: An der Wand hängt die Schwarzweissaufnahme eines Goldschürfers. Dort nehme ich dem Abfallpapst vor der Heimreise ein Versprechen ab. Rainer Bunge wird im Auftrag der Stadt Bern den Pilotversuch zum Farbsack-Trennsystem wissenschaftlich auswerten. Dabei solle er doch bitte ebenso kritisch hinschauen, wie er hier in Rapperswil forscht. Genau das würden die Auftraggeber auch von ihm erwarten: «Was mir gefällt, ist deren Offenheit», sagt er. Scheitern sei kein Tabu. Gut zu wissen für die zweite Halbzeit meines Abfall­experiments.

Recycling bedeutet manchmal auch, auf Gold zu stossen.

Professor Bunge erinnert mich an einen modernen Goldwäscher. Zurück in seinem Büro am See sehe ich mich bestätigt: An der Wand hängt die Schwarzweissaufnahme eines Goldschürfers. Dort nehme ich dem Abfallpapst vor der Heimreise ein Versprechen ab. Rainer Bunge wird im Auftrag der Stadt Bern den Pilotversuch zum Farbsack-Trennsystem wissenschaftlich auswerten.

Dabei soll er doch bitte ebenso kritisch hinschauen wie er hier in Rapperswil forscht. Genau das würden die Auftraggeber auch von ihm erwarten: “Was mir gefällt, ist deren Offenheit”, sagt er. Scheitern sei kein Tabu. Gut zu wissen für die zweite Halbzeit meines Abfallexperiments.

Der «Bund»-Test-Abfallsammler

Seit September können die ersten Haushalte in der Stadt Bern ihre Abfälle zu Hause trennen. Im Pilotversuch Farbsack-Trennsystem wird ein neues Entsorgungsmodell getestet, bei dem die Bevölkerung ihre Abfälle rund um die Uhr in hauseigenen Containern entsorgen kann. Rund 2500 Testhaushalte wurden dazu ausgewählt, unter anderem unser Autor, «Bund»-Redaktor Christoph Aebischer, der in unregelmässigen Abständen von seinen neuen Erfahrungen als «Wertstoffe»-Sammler berichtet. Das ist der dritte Beitrag.

Text: Christoph Aebischer

Video und Umsetzung: Martin Erdmann

Bilder: Dominique Meienberg

Text: Christoph Aebischer

Video und Umsetzung: Martin Erdmann

Bilder: Dominique Meienberg

© Tamedia