«In den USA wurde vor 30 Jahren das gleiche gemacht»

«In den USA wurde vor 30 Jahren das gleiche gemacht»

Der Medienwissenschaftler Manuel Puppis sagt, dass mit «No Billag» die Meinungsvielfalt leiden würde.

Interview: Frank Geister

Die Gegner von No Billag befürchten bei einer Annahme der Initiative eine «Berlusconisierung» der Medien, das heisst eine Machtkonzentration bei wenigen privaten Geldgebern. Wie beurteilen Sie das?
Es könnte in diese Richtung gehen. Überlebensfähig wären die kommerziell erfolgreichen Unterhaltungssender, nicht aber der Service public, weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene. Wer sonst noch Fernsehen machen will, ob links oder rechts, weiss ich nicht. Mit No Billag würde jedoch die Pflicht zu Sachgerechtigkeit und Meinungsvielfalt aus der Verfassung gestrichen. In den USA wurde vor 30 Jahren das Gleiche gemacht. In der Folge wurde Fox News für ein rechtes und MSNBC für ein linkes Publikum gegründet. Es war eine kommerziell erfolgreiche Strategie, sich auf ein rechtes oder ein linkes Publikum einzustellen. Für den politischen Diskurs in einer Demokratie ist das aber nicht von Vorteil. Es hat zu einem tiefen Graben zwischen links und rechts geführt.

Wie wichtig ist der regionale Service public für die direkte Demokratie?
Die regionale Informationsleistung erachte ich als wichtig für die direkte Demokratie, weil die Bürger auch auf kantonaler und lokaler Ebene mitentscheiden. Dabei spielen lokale Radio- und Fernsehsender eine wichtige Rolle.

Informieren sich jüngere Menschen heute nicht vermehrt im Internet?
Das stimmt, das Medienverhalten hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren stark verändert. Zeitungen, Radio und Fernsehen werden vermehrt online genutzt. Junge konsumieren die Inhalte meistens auf beliebten Webseiten wie Facebook und Youtube. Diese Firmen verdienen viel Geld mit Werbung, produzieren jedoch keine journalistischen Inhalte. Aber auch im Internet muss jemand die Inhalte bezahlen. Weil Radio häufig nebenher genutzt wird, wird es zwar noch häufiger live über klassische Sender konsumiert als Zeitungen oder Fernsehen. Aber auch hier findet ein Trend Richtung Online-Streaming statt.




Manuel Puppis, Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen, Universität Fribourg

Könnten lokale Medien sich bei einem allfälligen Ja zu No Billag über mehr Werbung finanzieren?
Regionalfernsehen ist nur in Zürich ohne Gebühren möglich. Ausserhalb von Zürich ist der Werbemarkt in allen Regionen viel zu klein. TeleBärn ist zu 40 Prozent von Gebühren abhängig und könnte nur durch den Abbau von Informationsleistungen überleben. TeleBärn könnte auch nicht von einem allfälligen Ausscheiden der SRG profitieren, denn die grössten Konkurrenten sind private Sender aus den Nachbarländern wie RTL und Sat 1. Diese haben je nach Landesteil zwischen 60 und 70 Prozent Marktanteil. Die SRG hat nur 30 Prozent Marktanteil. Im Bereich Radio sieht es etwas besser aus: Kommerzielles Radio ist in Städten ohne Gebühren möglich, da der Werbemarkt gross genug ist. Auf dem Land ist es jedoch schwierig, daher werden ländliche Sender mit Gebühren unterstützt.

Wäre es auch möglich, durch Abonnemente den Service public aufrechtzuerhalten?
Pay-TV funktioniert in einem kleinen, mehrsprachigen Land wie der Schweiz nicht. Selbst in grossen Ländern funktioniert Bezahlfernsehen nur für Unterhaltung und Sport, nicht aber für Informationen. Und Pay-Radio wäre technisch nicht möglich, weil die Radiowellen frei empfangbar sind.

Gäbe es allenfalls noch weitere Finanzierungsmöglichkeiten für die lokalen Medien, falls die Initiative angenommen würde?
Nein. Ich finde, der Artikel ist so glasklar formuliert, dass er keinen Spielraum lässt: «Der Bund darf keine Radio- und Fernsehstationen subventionieren, er darf weder Empfangsgebühren erheben noch Dritte damit beauftragen.»

Was würde denn ein Verlust von Radios wie Rabe bedeuten?
Alternativradios erfüllen eine Funktion, welche SRG und kommerzielle Radios nicht erbringen. Während kommerzielle Sender sich an ein Mehrheitspublikum richten, spielt Rabe andere Musik und gibt beispielsweise Migranten eine Stimme, die sonst in der Gesellschaft nicht gehört werden. Ich glaube, dass Rabe dadurch zur Integration von Minderheiten beiträgt. Dazu braucht Rabe aber Gebühren, da diese 70 Prozent der Einnahmen ausmachen. Durch Spenden oder Mitgliederbeiträge könnte ein Wegfallen der Gebühren bei einer Abschaffung der Gebühren kaum wettgemacht werden. Rabe müsste also entweder extrem abspecken oder sich auf Musik konzentrieren.

Könnte Rabe gerettet werden?
Vielleicht könnten sich alle Alternativradios in der Schweiz zusammenschliessen, sie wären dann aber nicht mehr so nahe an ihrem Publikum.

Befürworter von No Billag sagen, dass die Schweiz keine «Staatsmedien» brauche. Führen Staatsgelder im Journalismus Ihrer Meinung nach zu einer Einflussnahme des Staates im Journalismus?
Nicht zwingend. Ich halte den Begriff «Staatsmedien» für einen Kampfbegriff. Wer einmal in einem autoritären Staat war, kennt den Unterschied zwischen «Staatsmedien» und den öffentlich-rechtlichen Medien in Europa. Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 ist die SRG der unabhängigste Service public in ganz Europa. Zwar stimmt es, dass der Bundesrat die Gebührenhöhe festlegt, aber eine Einmischung in die redaktionellen Inhalte gibt es nicht. Und genauso sehe ich die Förderung privater Medien. Ob dadurch die Unabhängigkeit der Sender bewahrt wird, hängt von der politischen Kultur und den Mechanismen im Land ab. Der Vorteil von Gebühren gegenüber Steuern liegt darin, dass die Medienhäuser durch das Parlament nicht durch Kürzungen für kritische Beiträge bestraft werden können.

«Regionalfernsehen ist nur in Zürich ohne Gebühren möglich.»
© Tamedia