Die Angst vor der ewigen Stille

Besuch bei den Lokalradios, für die der 4. März zum Schicksalstag wird.

Sprengung des Sendeturms in Sottens (VD) 2014. (Bild: Keystone)

Sprengung des Sendeturms in Sottens (VD) 2014. (Bild: Keystone)

Text: Frank Geister, Martin Erdmann

3 Minuten und 39 Sekunden - so lange muss Matthias Fuchser warten, bis Lou Begas einstiger Sommerhit «Mambo No. 5» zu Ende ist. Danach fährt der Radio-BeO-Moderator das Mikrofon hoch. Verkehrsservice: «Die Kantonsstrasse zwischen Habkern und Unterseen ist wegen eines Erdrutsches in beiden Richtungen gesperrt.» Es sind Sätze wie diese, die für Fuchser das Oberländer Radio unersetzbar machen. «So schnell und detailliert kann dieser Service von nationalen Radiosendern nicht geleistet werden.»

Die Verkehrsmeldung auf Radio Beo am 23. Januar um zehn Uhr:

Quelle: http://www.radiobeo.ch

Es ist ein Service, dem ein baldiges Ende droht - zumindest wenn man den Worten von BeO-Geschäftsleiter Martin Muerner glauben will. Wenn die Schweiz am 4. März der No-Billag-Initiative zustimmt, prognostiziert Muerner eine dunkle Zukunft. «Das würde das Aus von Radio BeO in der heutigen Form bedeuten.» Denn von den Billag-Gebühren profitiert nicht nur die SRG, es profitieren auch verschiedene lokale Radio- und TV-Stationen (siehe Karte). 2016 betrug der staatliche Zustupf bei Radio BeO 1'534'068 Franken, was 37 Prozent des gesamten Betriebsertrags entspricht.

Fiele dieser Beitrag weg, so würden dem Sender schwerwiegende Konsequenzen drohen, sagt Muerner. «Es ist ganz klar, dass viele Stellen abgebaut werden müssten, wahrscheinlich würde der Betrieb sogar geschlossen werden.»

Radio BeO-Geschäftsleiter Martin Muerner (l.) und Chefredaktor Adrian Durtschi.

Radio BeO-Geschäftsleiter Martin Muerner (l.) und Chefredaktor Adrian Durtschi.

Die 70 Angestellten von Radio BeO arbeiten nur wenige Schritte vom Bahnhof Interlaken-West entfernt. Am dunkelgrünen Industriegebäude schlängelt die Aare vorbei, in der Ferne kratzen schneebedeckte Bergspitzen am Himmel. Der Mietblock, in dem das Stadtberner Alternativradio Rabe einquartiert ist, steht in einer wesentlich graueren Umgebung. Dennoch verbindet die beiden Sendestationen zurzeit etwas: eine Achse der Angst. Denn auch über Rabe schwebt das Damoklesschwert. Beim Nischensender würde ein Ja zu No Billag ein vergleichsweise noch grösseres Loch in die Kasse reissen. 53 Prozent des Gesamtertrags werden mit Gebührengeldern abgedeckt. Davon wird auch das Gehalt von Michael Spahr bezahlt. Der Redaktor des Rabe-Nachrichtenmagazins ist einer von elf Lohnbezügern bei Rabe. Dazu kommen 200 freie Mitarbeiter, die unentgeltliche Arbeit leisten.

Die Lampe über der Tür des Livestudios leuchtet rot. Es wird gerade gesendet. Spahr spricht die Vorschau für die 11-Uhr-Sendung ein. Schwerpunkt: die No-Billag-Initiative und deren Auswirkungen. Das Thema hat sich nicht nur in das Rabe-Programm, sondern auch in die Köpfe der Mitarbeiter gebohrt. «Die Initiative ist für uns extrem belastend», sagt Spahr. Mit wiederkehrender Angst blickt er dem 4. März entgegen. Wird das Volksbegehren angenommen, sieht er seine Stelle in Gefahr. Denn bei Rabe fliesst der Grossteil der Lohnauszahlungen in die Newsredaktion. «Wenn gespart werden muss, dann wird bei hintergründigem Journalismus angefangen.»

So klingt das Rabe Info:

Quelle: http://rabe.ch

Die No-Billag-Initiative ist in der Rabe-Redaktion zurzeit allgegenwärtig. In den Büroräumen beim Eingang stehen Kisten gefüllt mit Aufklebern des Gegnerkomitees. «60 000 haben wir davon bereits an Firmen und Haushalte verschickt», sagt Musikredaktor Martin Schneider. Auch auf die Redaktionssitzungen hat die Abstimmung grossen Einfluss. «Langfristige Themen können wir nicht besprechen, weil wir nicht wissen, wie lange es uns noch geben wird.» Bei einem Ja zu No Billag sieht Schneider nicht zwingend das sofortige Ende von Rabe. Aber: «Es würde einen schleichenden Tod bedeuten.» Denn neben den Gebührengeldern finanziert sich Rabe über Mitgliederbeiträge. «Zwar könnten wir kurzfristig neue Mitglieder anwerben, über lange Zeit würde das kaum funktionieren.»



Regionaler Service public: Gebühren für regionale Sender

Vor 25 Jahren führte das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) das Gebührensplitting ein. Neben der SRG erhielten dadurch auch Regionalradios einen Anteil an den Radio-Empfangsgebühren in Höhe von damals insgesamt 5,6 Millionen Franken (ein Prozent der Gebühren).

Die Gebühren sind gemäss RTVG gedacht für Regionalradios, an deren «Programm ein besonderes öffentliches Interesse besteht, deren Sendegebiet aber keine ausreichende Finanzierung erlaubt». Darunter fallen Radios mit mehrsprachigen Programmen und Radios in Randregionen. Städtische kommerzielle Radiosender wie Bern 1 bekommen keine Gebühren, da sie ihr Programm durch Werbung finanzieren können. Da das nicht kommerzielle Radio Bern (Rabe) werbefrei sendet und ein Sender wie Radio Berner Oberland (BeO) ein zu kleines Einzugsgebiet hat, bekommen sie Geld.

2007 gesellten sich auch lokale TV-Sender wie TeleBärn zu den Gebührenempfängern, da die Produktionskosten für TV deutlich höher als für Radio sind. Seit Beginn wurde der Anteil, den die lokalen Radio- und TV-Sender aus dem Splitting erhalten, laufend erhöht, zuletzt auf fünf Prozent, was 67,5 Millionen Franken entspricht. Heute profitieren 13 regionale TV- und 21 regionale Radiosender davon, 7 im Kanton Bern. Die Verbände der regionalen Radio- und Fernsehsender warnen vor einem Kahlschlag bei einer Annahme von No Billag, insbesondere in der Westschweiz, dem Tessin sowie in Berg- und Randregionen. (gef)

Rabe-Redaktor Michael Spahr (Archiv). (Bild: Manu Friederich)

Rabe-Redaktor Michael Spahr (Archiv). (Bild: Manu Friederich)

Blick in die Rabe-Redaktion (Archiv). (Bild: Keystone)

Blick in die Rabe-Redaktion (Archiv). (Bild: Keystone)

«Wir bewegen uns in einer Nische»: Rabe-Musikchef Martin Schneider. (Bild: Adrian Moser)

«Wir bewegen uns in einer Nische»: Rabe-Musikchef Martin Schneider. (Bild: Adrian Moser)

Pures Eigeninteresse?

Die Telefonleitung ist schlecht und wird immer wieder unterbrochen. Markus Horst befindet sich momentan im Ausland. Dennoch ist die Meinung des No-Billag-Komiteemitglieds unmissverständlich. «Sender, die mit ihrem Geld schlecht haushalten, müssen sich nicht wundern, wenn sie nicht bestehen können.» Dass nun viele gebührenabhängige Stationen «das schlimmste Szenario heraufbeschwören», überrascht Horst nicht. Er vermutet dahinter pures Eigeninteresse. «Natürlich ist es bequem, eine gesicherte Finanzierung zu haben.»

Falle diese weg, würde das Programm bestimmt verkleinert werden müssen. Doch das würde die Sender zu einem nötigen Umdenken bringen, sagt Horst. «Das Programm soll den Hörern angepasst werden.» Denn genau darin sieht er eine Chance für den Lokaljournalismus. «Wenn die SRG ihre Position als Spitzenreiterin verliert, können Regionalsender Marktanteil gewinnen.» Doch wie können die Kosten zur Aufrechterhaltung des Sendebetriebs gedeckt werden? «Es müssen neue Einnahmequellen gefunden werden», sagt Horst. Dabei denkt er beispielsweise an Abosysteme oder Gönnerbeiträge.

Am Markt vorbei

In der Initiative sieht Horst eine Regulierung des Marktes. Denn manche Sender würden aus seiner Sicht völlig zu Unrecht Gelder zugesprochen bekommen. So zum Beispiel Radio Rabe. «Das Programm ist massiv links. Ich verstehe nicht, wieso das von der Öffentlichkeit unterstützt werden sollte.» Für ihn ist Rabe das beste Beispiel dafür, dass ein grosser Bevölkerungsanteil die Billag-Gebühren mit Skepsis betrachtet.

Keine Alternativen

Rabe-Musikredaktor Schneider hat für solche Aussagen bloss ein müdes Lächeln übrig. «Es braucht ein Radio wie Rabe, weil hier auch andere Ansichten eingebracht werden können.» Das sei wichtig für die freie Meinungsbildung der Schweiz. Dass dies im Fall Rabe grösstenteils über öffentliche Gelder passiert, findet Schneider nicht problematisch. Viele Bereiche würden nur über Subventionen funktionieren. Gerade in der Kultur: «Ohne die öffentliche Hand könnte beispielsweise das Berner Symphonieorchester sich gleich auflösen.»

Alternativen zur Geldbeschaffung sieht Schneider keine. Vor allem nicht in der Werbung. «Wir bewegen uns in einer Nische, sind also zu klein, um für Werbung interessant zu sein.» Genauso «illusorisch» ist für ihn ein Abosystem. «Beim Radio gibt es keine Bezahlkultur. Die Leute sind sich das nicht gewohnt.» Wer etwas anderes behaupte, kenne den Markt nicht. In Interlaken sieht man es gleich. BeO-Geschäftsleiter Muerner: «Pay-Radio funktioniert nirgends auf der Welt, auch nicht bei BeO.»

In einem weiteren Punkt sind sich die Sender einig: Werden die Konzessionen versteigert, wie es die Initiative vorsieht, könne man nicht mithalten.

«Pay-Radio funktioniert nirgends auf der Welt, auch nicht bei BeO.» – BeO-Geschäftsleiter Martin Muerner

Radio-Bern1-Geschäftsführer Peter Scheurer. (Bild: Adrian Moser)

Radio-Bern1-Geschäftsführer Peter Scheurer. (Bild: Adrian Moser)

Es wäre ein System, das auch vom gebührenunabhängigen und finanziell robusten Radio Bern 1 kritisiert wird. «Diese Vergabe hätte nichts mehr mit der Qualität eines regionalen Programms zu tun. Radio machen kann dann nur noch der Meistbietende», sagt Geschäftsleiter Peter Scheurer.

Für den werbefinanzierten Sender hätte ein Ja zur Initiative ebenfalls finanzielle Nachteile. Der Staat leistet für alle Privatradios eine Anschubfinanzierung für den Umstieg auf die neuen digitalen DAB+-Netze. «Diese Gelder stammen aus dem Gebührentopf und würden voraussichtlich ab 2019 versiegen.» Auch an der Werbefront drohten grosse Verluste, sagt Scheurer. Wenn die SRG nicht mehr staatlich ist, wäre sie von den strengen Werbeauflagen befreit und würde auf den Werbemarkt eingreifen. «Das hätte grosse negative Auswirkungen für uns und alle Privatradios.»

Zurück in Interlaken: Die BeO-Hörer Ruedi und Marlies haben gerade bei einem Quiz mitgemacht. Nun läuft Atomic Kittens «Eternal Flame» - ewige Flamme. Diese könnte nach dem 4. März stark reduziert werden. Nicht nur in Interlaken.

© Tamedia