Heikler Job unter Dauerbeobachtung

Sie ist regelmässig unter Beschuss: Wie tickt die Kantonspolizei Bern?

Viele Demonstrationen, angriffige Reitschule, Fussballspiele: Keine Polizei in der Schweiz steht derart im Fokus wie die Kantonspolizei Bern in der Bundesstadt. Wie tickt das Corps, das regelmässig unter Dauerbeschuss steht?

von Andres Marti

Demütigende Leibesvisitationen, diskriminierende Kontrollen, Gummigeschosse auf Kopfhöhe: So reden Kritiker über die Arbeit der Kantonspolizei (Kapo). Jüngst hat der Tod eines 20-Jährigen auf dem Polizeiposten Verdächtigungen und Gerüchte befeuert. Was an solchen Anschuldigen dran ist, bleibt meist offen. Das hat auch mit der zurückhaltenden Kommunikation der Polizei zu tun. Mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz lehnt sie Stellungnahmen häufig ab. Zudem erfasst weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei Anzeigen gegen Polizeibeamte separat. Damit ist die Polizei nach eigenen Angaben nicht in der Lage, darüber Auskunft zu geben, wie häufig ihre Beamten angezeigt werden.



Viele tendenziell links wählende Städter ärgern sich, dass der bürgerlich dominierte Grosse Rat der Polizei stets den Rücken freihält. Ihr Misstrauen gegenüber der Kapo äussert sich in Forderungen nach einer unabhängigen Beschwerdestelle, einem Quittungssystem für Polizeikontrollen oder in Aufrufen, Polizisten mit dem Handy zu filmen. Dass das neue Polizeigesetz den Handlungsspielraum der Polizei erhöht, ohne den Rechtsschutz zu stärken, macht das Unbehagen der Gegner nicht kleiner.

Schwieriges Umfeld

Insgesamt ist der Ruf der Polizei aber weit besser, als die meist linke Kritik vermuten lässt. In Bern leisten derzeit rund 2200 Personen Dienst in Uniform, und pro Jahr leistet die Kapo über 150000 Einsätze. Demgegenüber stehen rund 150 Beschwerden, die meisten davon gegen Ordnungsbussen. Laut einer von der Polizei in Auftrag gegebenen Umfrage ist die Mehrheit der Bernerinnen und Berner mit der Arbeit ihrer Polizei zufrieden. 87 Prozent der Befragten gaben dabei an, der Polizei im Allgemeinen zu vertrauen.

Da die Polizei in der Stadt Bern in einem tendenziell schwierigeren Umfeld agieren müsse, so die Autoren der Studie, seien diese positiven Einschätzungen bemerkenswert. Schwieriges Umfeld heisst: über 200 Kundgebungen pro Jahr, viele davon unbewilligt, ausserdem Fussballspiele, Fanmärsche und der nicht totzukriegende Drogenhandel vor dem Jugendtreff Reitschule.

Bern entscheidet über Polizeigesetz

Das Stimmvolk des Kantons Bern entscheidet am 10. Februar über das neue Polizeigesetz. Dieses umfasst 189 Artikel und soll der Polizei unter anderem bessere Mittel für die Bekämpfung von schwerer Kriminalität und häuslicher Gewalt bieten. Zudem soll durch den Erlass die Zusammenarbeit zwischen Kantonspolizei und Gemeinden vereinfacht werden. Auch wäre das Personal- und Dienstrecht der Kantonspolizei neu im Polizeigesetz integriert. Dieses wurde bis anhin in einem separaten Gesetz beschrieben.

Im Grossen Rat erlangte das Gesetz klare Zustimmung. Dennoch wurde dagegen das Referendum ergriffen. Die Gegner bemängeln, dass der Erlass den Gemeinden in der Ausgestaltung der Sicherheit zu wenig Mitspracherecht gibt. Zudem würde es die Überwachung verstärken, die Verdrängung von Menschen aus dem öffentlichen Raum fördern und Fahrende diskriminieren. (mer)

Bei der Bekämpfung des Drogenhandels – im Aufrag der Stadtregierung –  kommt es regelmässig zu Konflikten mit den Reitschule-Betreibern und den Gästen. Nach einem Polizeieinsatz im letzten September äusserte der Gemeinderat Kritik an der Polizei, und die Aufsichtskommission des Berner Stadtrats lud Vertreter der Polizei zu Anhörungen vor.

Die Vorwürfe seitens der Reitschule lauten: Der Betrieb leide unter dem «erfolglosen Kampf gegen den Drogendeal», alle paar Wochen werde das Restaurant von Polizisten «lahmgelegt», teilweise würden Mitarbeitende und Gäste «beschimpft und verhöhnt». Die Einführung einer unabhängigen Beschwerdestelle nennt die Reitschule eine «absolute Minimalanforderung». Die Polizei umgekehrt wirft den Reitschülern vor, sie bei der Arbeit zu behindern. Wenn jemand mit der Arbeit der Polizei nicht zufrieden sei, bestehe die Möglichkeit einer Beschwerde; intern gebe es ein «Beschwerdemanagement». Bei strafbaren Handlungen werde der Fall direkt an die Staatsanwaltschaft oder an Gerichte weitergeleitet.

Lob für Krokus

In anderen «heissen» Zonen ist das Verhältnis weit entspannter. Bubi Rufener leitet die Contact-Drogenanlaufstelle an der Hodlerstrasse, die täglich von rund 120 Süchtigen besucht wird. Er sagt, die Zusammenarbeit mit der Polizei habe sich in den letzten 20 Jahren verbessert. Rufener arbeitet seit 23 Jahren in der Suchthilfe. «Dass sich Polizisten übergriffig verhalten, kommt heute praktisch nicht mehr vor.» Er lobt vor allem die Einsatzgruppe Krokus, die in Bern für die Bekämpfung des Drogenhandels zuständig ist: «Sie ist heute viel weniger repressiv gegenüber Konsumenten.» Die Zeiten, als Polizisten den Süchtigen die frischen Spritzen wegnahmen, sind definitiv vorbei. Wer heute nach der Polizeischule in den Dienst bei der Kantonspolizei eintritt, wird von Rufener durch die Anlaufstelle geführt. «Diese Aufklärungsarbeit ist enorm wichtig», sagt er.

Ausserhalb der Anlaufstelle betreut die kirchliche Gassenarbeit diejenigen, die öfters mit der Polizei zu tun haben. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist hier nicht so eng. Doch man spricht miteinander und tauscht sich aus. «Aus Sicht der Gassenarbeit verhält sich die Polizei in Bezug auf unser Klientel in den meisten Fällen professionell», sagt der Gassenarbeiter Ruedi Löffel. Bei einzelnen Polizisten wünsche er sich jedoch mehr Einfühlungsvermögen und ein «Verständnis für die Situation der Menschen auf der Gasse».

Genau an diesem Einfühlungsvermögen fehlt es vielen Polizisten laut Kritikern. Das habe auch damit zu tun, dass diese Arbeit einen speziellen Typ Mensch anziehe. Um Polizist zu werden, muss man über eine Erstausbildung verfügen. Laut Polizei wollen Köche, Mechaniker und Krankenpfleger ebenso Polizist werden wie Studenten und Leute mit KV-Abschluss. Ihre Motivation? Eine Vielzahl der Aspiranten gebe an, dass vor allem die Vielseitigkeit des Tätigkeitsbereichs, der Kontakt mit Menschen und an dritter Stelle das Helfen ausschlaggebend für den Entscheid seien.

Text: Andres Marti, Martin Erdmann, Simon Gsteiger
Bild: Adrian Moser, Raphael Moser, Beat Mathys
Umsetzung: Christian Zellweger

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