«Die Polizei nutzt Nichtwissen aus»

In Teilen von Berns Jugend ist Feindseligkeit gegenüber der Polizei weit verbreitet. Woher kommt diese? Wie weit recht sie? Zwei Jugendliche erzählen.

von Martin Erdmann

Max geht in die Sekundarschule, will im Sommer eine Kochlehre beginnen. Rosa ist im Gymnasium, denkt über ein Studium nach. Beide mögen sie die Polizei nicht besonders. Um offen darüber sprechen zu können, wollen sie ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn die Polizei verbinden sie mit einem unangenehmen Gefühl. «Mir wird es unwohl, wenn Polizisten in der Nähe sind», sagt Max. Diese Nähe endete für ihn einmal in Handschellen. «Selbstverschuldet», sagt er.

Dennoch wundert er sich noch immer über das Ausmass der Beachtung, die ihm die Polizei in jener Nacht geschenkt hat. Mit Kollegen habe er in der Länggasse einen Mülleimer besprayt. «Nichts grosses.» Gross sei jedoch das Polizeiaufgebot gewesen. «Plötzlich standen acht oder neun Polizisten um uns herum.» Die Nacht endete auf dem Posten. Er habe von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen wollen, daraufhin habe ihn der Polizisten angefahren. «Das hat mich extrem gestört.»

Gerade gegenüber Jugendlichen, würden sich Polizisten extrem viele Freiheiten herausnehmen, sagt Rosa und erzählt eine Geschichte von einem Kollegen. Diesem sei verschwiegen worden, dass er an einem Verhör einen Anwalt oder Vertrauensperson mitbringen darf. «Er tat es trotzdem und die Polizei war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob das nicht doch zulässig ist.» Die Polizei nutzt das Nichtwissen der anderen definitiv aus, sagt Rosa. 

Vorteil für «weisse Gymeler»

Die beiden Jugendlichen schöpfen aus einem reichen Fundus an ähnlichen Geschichten. In allen sehen sie das Verhalten der Polizei als nicht angemessen an. Da war die Kollegin, die auf den Posten musste, weil sie nach einer friedlichen Demonstration mit Kreide Parolen an die Mauern der Heilig-Geist-Kirche schrieb. Oder der dunkelhäutige Kollege, der als Einziger in einer Gruppe von ansonst «weissen, schweizer Gymeler» kontrolliert wurde. Oder die acht Beamten, die den Schönausteg vor Joggern beschützen würden.

Die Richtigkeit solcher Erzählungen stellt Rosa manchmal in Frage. «Durch diese ablehnende Haltung wird wohl manchmal etwas übertrieben.» Dennoch sind es eben solche Geschichten, die auf das Verhältnis der Jugend zur Polizei abfärben. «Wenn sich die Polizei falsch verhält, verbreitet sich das sehr schnell. Alle hören davon», sagt Rosa. Die Ablehnung der Polizei drückt sich in ihrem Umfeld auf verschiedene Arten aus. Da gibt es die Radikalen. «Sie stellen sich gegen die Polizei als Beschützer des politischen Systems, das sie bekämpfen», sagt Max. Und es gibt die Gemässigten. «Der Polizei muss sehr streng auf die Finger geschaut werden, doch das Gewaltmonopol soll ihr überlassen werden.»

«Wenn sich die Polizei falsch verhält, verbreitet sich das sehr schnell. Alle hören davon.»
Rosa, Gymnasiastin

Mehr Kontrolle gefordert

Die beiden zählen sich nicht zum radikalen Teil von Berns Jugend. Zu sehen am Beispiel Schützenmatte. Rosa sieht es nicht gerne, wenn sich die Polizei dort formiert. «Das kann schon als Provokation wahrgenommen werden.» Aber: «Deswegen aus der Menge heraus Flaschen und Steine zu werfen, ist falsch.» Dadurch würden bloss alle Leute gefährdet werden, die rundherum stehen.

Die Reflexion des eigenen Umfelds ist für die beiden Schüler wichtig. «Im Gymer sind die meisten links. Mit anderen Ansichten wird man dadurch kaum konfrontiert», sagt Rosa . Deshalb lesen sie beispielsweise Medientitel mit unterschiedlicher politischer Ausrichtungen, «um nicht in ein Schwarz-Weiss-Denken zu verfallen.»

So haben sie teilweise auch Verständnis für die Polizei. Zum Beispiel bei Demonstrationen. «Wenn Parolen gegen die Polizei skandiert oder Gegenstände auf sie geworfenen werden, ist es für diese sicher nicht einfach, die Nerven zu behalten», sagt Max. Rosa findet solches Verhalten kontraproduktiv: «Dadurch wird riskiert, dass sich die Polizei gezwungen fühlt, die Demo aufzulösen – vielleicht unberechtigt.»

Gegen das Polizeigesetz sind sie trotzdem. «Solange es keine unabhängige Stelle gibt, welche die Polizei kontrolliert, sollte diese nicht noch mehr Rechte erhalten», sagt Rosa.

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