Klimaprognosen für bewohnbare Planeten

Berner Forscher entdecken neue Klimazustände, in denen Leben möglich ist.

Grosse Schanze, Stadt Bern, Europa, Erde. Draussen ist es kalt, es dunkelt bereits ein. Es sind die kürzesten Tage des Jahres auf der Nordhemisphäre. Zwei Stockwerke unterhalb der Einsteinterrasse existiert eine andere Welt. Im wahrsten Sinn des Wortes. Dort sitzt Cevahir Kiliç im Physikalischen Institut der Universität Bern an seinem Computer. Auf den Bildschirmen befindet sich die Ansicht eines ungewohnt aussehenden Planeten. Er ist gleich gross wie die Erde. Doch anders als bei der Erde befinden sich an den Polen des Planeten mächtige Ozeane. Dafür befindet sich rund um den Äquator dauerhaft ein dicker Eisgürtel. Bisher ging die Forschung davon aus, dass ein solcher Klimazustand nur temporär existieren kann. Der Berner Physiker mit kurdischen Wurzeln hat nun mit seiner Forschung das Gegenteil bewiesen. Er hat dabei zudem ein neues Luftzirkulationsmuster innerhalb der Atmosphäre entdeckt.

Seit fünf Jahren erforscht Kiliç am Berner Center for Space and Habitability und der Abteilung für Klima- und Umweltphysik im Rahmen seiner Dissertation Klimazustände auf fernen Planeten. Hauptziel seiner Forschung ist es, Erkenntnisse zu liefern, die bei der Identifizierung von bewohnbaren Planeten helfen. Denn der Planet auf dem Computer existiert bisher einzig in einem Rechenmodell und in Form von Zahlen. Ein optisches Abbild wird einzig für Publikationen erstellt - oder wie jetzt, wenn sich ein Journalist dafür interessiert. Ansonsten beschäftigt sich Kiliç vor allem mit seitenlangen Programmiercodes und komplexen Formeln. Penibel genaues Arbeiten ist ein Muss. Eine einzige falsche Zahl, ein einziger falscher Buchstaben kann die Berechnung von Monaten unbrauchbar machen.

Für den Modellplaneten hat der 32-jährige Kiliç mit Forscherkollegen ein bestehendes Klimamodell der Erde adaptiert. Eigenschaften wie beispielsweise die Zusammensetzung der Atmosphäre wurden beibehalten. Der Planet im Modell weist im Gegensatz zur Erde aber keine Landflächen auf. Im angepassten Modell testeten die Forscher, wie sich veränderte astronomische Bedingungen auf das Klima des Himmelskörpers auswirken. Etwa eine veränderte Neigung der Achse des Planeten. «Der Einfluss der Erdneigung ist für das Klima von zentraler Bedeutung», sagt Kiliç. Bei der Erde beträgt diese derzeit 23,4 Grad. Diese Neigung sorgt dafür, dass es auf der Erde vier Jahreszeiten gibt. Sie ist weiter dafür verantwortlich, dass es an den beiden Erdpolen (noch) Eiskappen gibt - aber auch dafür, dass die Tage in Bern derzeit kurz sind (siehe Artikel im «Bund» vom 21. Dezember: Link).


Cevahir Kiliç im Serverraum seines Instituts.

Doch was passiert, wenn man den Planten weiter kippt, bis die Achse beinahe waagerecht zur Umlaufbahn um den Stern steht? Solche Neigungen träten durchaus auf - etwa beim Planeten Uranus, so Kiliç. «Ab einem Winkel von 54 Grad ist die Einstrahlung an den Polen im jährlichen Mittel stärker als am Äquator.» Um herauszufinden, wie sich dies konkret auswirkt, probierte der Wissenschaftler in seinen Modellen systematisch alle möglichen Neigungsachsen aus. Dies in Kombination mit unterschiedliche Bestrahlungsstärken (siehe Zusatztext).

Die dabei entstandenen Datenberge sind enorm. Zum Vergleich: Die bis anhin angefallenen 600 Terabyte Daten würden die Festplatten von rund 2400 handelsüblichen Laptops vollständig füllen. Und selbst am Supercomputer der Universität musste Kiliç teilweise einen Drittel der gesamten Rechenleistung in Anspruch nehmen. Manche der Simulationen liefen mehrere Monate lang.

Eisflächen reflektieren die Energie

Inzwischen hat er alle möglichen Szenarien für seinen Modellplaneten ausgewertet. Insgesamt traten sechs verschiedene Klimazustände auf. Dabei wurde klar, dass dieselben äusseren Bedingungen zu unterschiedlichen Klimazuständen führen können. So war der Eisgürtel nur dann stabil, wenn der Planet beim Start der Simulation weitestgehend gefroren war. Dies deshalb, weil das Eis die Eigenschaft besitzt, die Sternenenergie zu grossen Teilen ins All zurückzustrahlen. Demgegenüber speichern Wassermassen die Energie. Damit das Wasser überhaupt einzufrieren begann, musste die Energiezufuhr im Modell derart stark reduziert werden, dass nicht nur der Äquator, sondern nach kurzer Zeit der ganze Planet völlig zugefroren war.

Solarkonstante und Bestrahlungsstärke
Die Solarkonstante beschreibt die annähernd konstante Stärke der Sonnenstrahlung an der Obergrenze der Erdatmosphäre bei mittlerem Sonnenabstand. Die Solarkonstante beträgt für eine senkrecht zu den Strahlen stehende Fläche 1368 Watt pro Quadratmeter. Weil die Bahn der Erde um die Sonne elliptisch ist, schwankt mit dem Erdabstand im Laufe eines Jahres auch die Solarkonstante zwischen 1325 und 1420 Watt pro Quadratmeter. Bei Planeten ausserhalb unseres Sonnensystem spricht man von der Bestrahlungsstärke. Ein Wert von 1 entspricht dabei der Solarkonstante der Erde. Die Forscher der Universität Bern variierten die Bestrahlungsstärke bei ihrem Versuch zwischen 0,7 und 1,35 Solarkonstanten.

Man müsse sich stets bewusst sein, dass Modellberechnungen die Realität nie vollständig abbilden könne, sagt Kiliç. «Doch die Erkenntnisse des Modells tragen dazu bei, das Verständnis der bisher und künftig entdeckten Planeten zu verbessern.» So kann man durch die gewonnenen Daten etwa besser abschätzen, in welchem Abstand eines Sterns sich ein Planet mit flüssigem Wasser befinden könnte. Letzteres sei die Grundvoraussetzung für Leben - zumindest solchem nach menschlichem Verständnis.

Star Wars und die Erde

Bisher wurden gemäss der amerikanischen Weltraumbehörde NASA 3572 Exoplanten entdeckt. 882 sind erdähnlich und können damit auch jenem Planeten im Modell der Universität Bern gleichen. Viele davon sollen in den kommenden Jahren genauer unter die Lupe genommen werden. Wenige Meter von Kiliçs Büro entfernt wird derzeit ein Weltraumteleskop gebaut, das genau dies tun wird (siehe Zusatztext).

Kiliç ist überzeugt, dass noch zu seinen Lebzeiten ein Planet entdeckt wird, der Spuren von Leben aufweist. Er lächelt. Für einen kurzen Moment wird der junge Forscher zum Abenteurer, dem Entdecker ferner Welten. So wie die Protagonisten der Weltraumsagen Star Wars und Star Trek, von denen er als kleiner Junge keine Episode verpasste. Seither habe er eine Faszination für das Weltall.

Gleichwohl sieht er seine Forschung durchaus auch nüchtern. Es gehe schlicht darum, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Nicht nur über ferne Planeten. «Die Resultate können auch Hinweise zur Klimageschichte der Erde liefern», sagt Kiliç. So deuteten die Ergebnisse der Simulationen an, dass die Erde auch ganz zugefroren sein könnte, so Kiliç. Dies passe zur gängigen Theorie der Snowball-Earth (Schneeballerde), wonach die Erde tatsächlich mehrmals in ihrer Geschichte vollständig mit Eis bedeckt war.

Berner Weltraummission

Forscher der Universität Bern wollen bereits bekannte Exoplaneten genauer untersuchen. Ihr Projekt, CHEOPS, ist die erste Mission der europäischen Weltraumagentur ESA unter Schweizer Leitung. Kernstück ist ein Weltraumteleskop, dass derzeit an der Universität Bern gebaut wird. Ende 2018 ist der Start mit einer Sojus-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou geplant. Das Teleskope erfasst die Abdunklung eines Sterns, wenn ein Planet vor ihm vorbeizieht. Aus dem Grad der Abdunklung bei einem solchen «Transit» lässt sich die Grösse des Exoplaneten bestimmen. Zusammen mit der Masse können Forschende daraus ableiten, ob es sich um einen Gesteinsplaneten wie die Erde oder einen Gasplaneten wie Jupiter handelt. Ebenso werden Aufschlüsse über die Zusammensetzung der Atmosphäre erwartet. Dreieinhalb Jahre lang sollen gezielt Planeten um rund 700 helle Sterne ausserhalb unseres Sonnensystem untersucht werden. (sda/bwg)

Text und Umsetzung: Basil Weingartner
Bilder: Franziska Scheidegger, Keystone
Grafik: Universität Bern

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