Zurück aufs Feld

Im Westen von Bern wird in einer alten Zierpflanzengärtnerei Biogemüse gezüchtet.

Aufgebaut wird der Betrieb von Freiwilligen. Sie wollen 200 Personen wöchentlich mit Gemüse versorgen – und folgen so einem Trend.

Noch sind lange nicht alle Beete bereit. In manchen der Gewächshäuser und auf grossen Teilen der Parzelle wachsen noch Unkraut und Gras. Und mitten im künftigen Feld stehen Baumstrünke. Die Tannen wurden vor kurzem gefällt. Bald sollen die Strünke ausgegraben werden. Denn bereits im April soll das erste Gemüse geerntet werden. In der Süri, einem Weiler zwischen dem stadtbernischen Dörfchen Matzenried und Laupen entsteht eine neue Gemüsekooperative. Ihr Gemüse will sie mit einem Gemüseabonnement an Menschen in der Region Bern vertreiben.

Die Zahl der Bernerinnen und Berner, die «äs Gemües-Abo» haben, steigt (siehe Text ganz unten). Wer ein solches hat, erhält von Bauern oder Gemüsegenossenschaften aus der Gegend regelmässig – meist wöchentlich oder zweiwöchentlich – eine Tasche voll mit saisonalem Biogemüse. Während manche der Anbieter den Kunden das Gemüse nach Hause liefern, deponieren es andere an Abholstationen in der Stadt. Wie die Zahl der Kunden ist auch die Zahl der Anbieter gestiegen. Acht Jahre nachdem der Trend der solidarischen Landwirtschaft Bern von der Westschweiz aus erreichte, gibt es hier bereits mehr als eine Handvoll Angebote. Damit bald ein weiteres dazukommt, laufen im Westen von Bern seit zwei Jahren die Vorbereitungen. Rund ein Dutzend Personen – Handwerkerinnen, Lehrer, Sozialarbeiterinnen, Agronomen, Gärtnerinnen – arbeiten gegenwärtig mit. Sie gärtnern nicht nur, sondern zimmern Häuschen, schreiben ­Betriebsreglemente oder gestalten die Webseite – alles in ihrer Freizeit und ohne Entgelt.

«Es geht um Politik»

Martina Schlup ist eine dieser Freiwilligen. Eben ist sie an diesem lauen Herbstvormittag dabei, frische Komposterde in ein altes Treibhaus zu tragen. Denn wo künftig biologisches Gemüse wachsen soll, wurden bis vor kurzem vom Vorgänger auf konventionelle Weise Zierpflanzen gezüchtet. Um die ­Biostandards einzuhalten, muss der Boden deshalb aufgearbeitet werden. Für die im Sozialwesen tätige junge Frau ist der genossenschaftliche Gemüseanbau viel mehr als die reine Produktion von Essen. «Es geht um Politik.» Denn die Art und Weise, wie heute Gemüse produziert werde, sei schädlich.

Anbieter von Biogemüse-Abos sind überzeugt, eine Alternative bieten zu können. Das Gemüse werde ohne Pestizide produziert und anschliessend über kurze Transportwege in mehrere Abholstationen in der Stadt gebracht – Hauszustellungen übernähmen bei Bedarf die Velokuriere. Weil sich die Kunden zur Abnahme des Gemüses verpflichten, könne man die benötigte Menge sehr genau planen, sagt Barbara «Nilo» Schmid, die gelernte Gemüsegärtnerin ist und als Eigentümerin zusammen mit der basisdemokratisch geführten Genossenschaft die Felder bestellt. Dadurch sinke die Menge des Gemüses, welche kompostiert werden müsse, gegen null. Dazu trage auch bei, dass es zum Prinzip gehöre, den Kunden auch krumme Rüebli in die Tasche zu packen – oder nach sonnigen Wochen auch mal eine doppelte Portion Tomaten. In grossen Gemüsebetrieben landen diese oft in grossen Mengen auf dem Kompost – weil die Detailhändler sie nicht wollen oder in der Haupterntezeit zu viel von einer Gemüsesorte auf dem Markt ist.

Süri - Ein Start-up der anderen Art
Im kommenden April wird das erste Gemüse ausgeliefert. Doch die Kooperative existiert rechtlich noch gar nicht. Die Genossenschaft «Süri - solidarisches Gemüse» wird am 21. Oktober um 14 Uhr im Quartierhof in der Berner Lorraine gegründet. Mitglieder werden noch gesucht.
Webseite der Genossenschaft

«Ich befürchtete, die Gärtnerei abreissen zu müssen»

Die ganze Stadt lässt sich durch Gemüse-Abos derzeit nicht versorgen. Das Ziel der Gärtnerinnen und Gärtner aus der Süri ist es, im ersten Jahr auf der rund 1,3 Hektaren grossen Anbaufläche Gemüse für bis zu 200 Personen zu produzieren. Mit der Gärtnerei, die ihren malerischen Pendants in unzähligen Wimmelbilderbüchern in Nichts nachsteht, hat die Genossenschaft nach längerem Suchen einen Produktionsbetrieb gefunden. Erwin Marbach, der frühere Besitzer ist längst im Pensionsalter; Nachfolger fand er lange keinen. «Ich befürchtete, die Gärtnerei abreissen zu müssen», sagt er. Derweil beobachtet er seine Nachfolger von der Terrasse des zur Gärtnerei gehörenden ­Bauernhauses aus, in dem er weiter wohnen wird. Das Haus gehört nun aber der Wohnbaugenossenschaft Q-Hof aus dem Lorrainequartier. Im Haus sollen auch Wohnungen entstehen. Der Plan der Wohnbaugenossenschaft, die Felder selber zu bestellen, scheiterte an der Gesetzgebung (siehe Textbox).

Im Februar wird in der Süri erstmals gesät. Aus kleinen Tomatensamen werden dann Setzlinge gezogen, die später im Sommer zu Dutzenden und meterhoch im grossen Treibhaus stehen werden. Im Spätwinter werden auch frühe Gemüsesorten, wie Kohlrabi oder Salate gesetzt. Zuständig wird dann eine festangestellte Gartenfachperson sein.

Ziel ist es, diese besser zu entlöhnen, als dies sonst im Gemüseanbau der Fall ist. Dies sei durch das Modell der solidarischen Landwirtschaft möglich, sagt Schmid. Nach ihrer Zweitausbildung zur Gemüsegärtnerin habe sie auf mehreren grossen Gemüsehöfen gearbeitet – oft zu Löhnen unter dem Minimallohn von 22 Franken pro Stunde. «Die Bauern, die an Grosshändler verkaufen, können oft schlicht nicht mehr zahlen.» Der Preisdruck sei enorm. Dies auch, weil die Konsumenten immer weniger für ihr Essen zahlen wollten. Tatsächlich sinkt der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Gesamtausgaben ständig und ist der Schweiz so tief wie fast nirgend sonst.

Alle müssem mitanpacken

In den Städten wächst aber eine neue Konsumentengruppe heran, die bereit ist, für biologische, regional produzierte Produkte etwas mehr zu bezahlen. In der Süri wolle man «Gemüse für alle machen», sagt Martina Schlup. «Es nervt, dass Bio teilweise etwas Elitäres anhaftet.» Auch damit das Gemüse-Abo (für einen Zweipersonenhaushalt kostet es rund 90 Franken pro Monat) möglichst günstig ist, müssen alle mit anpacken. Dies je nach Abo-Grösse zwischen fünf und zehn Halbtage im Jahr. Unter dem Strich kann so eine Vollzeitstelle gespart werden. Alle Abnehmer müssen zudem Genossenschafter werden. Traditionelle Kunden gibt es deshalb eigentlich nicht – alle sollen mitmachen und mitentscheiden können. «Ich will, dass die Leute wieder wissen, wie viel Aufwand und Energie in Lebensmitteln steckt», sagt Schmid. Auch der soziale Kontakt sei sehr wichtig. So soll es hin und wieder ein Fest geben. Doch dazu ist es noch zu früh. Es geht zurück aufs Feld. Frische Erde ausbringen.

Das Bodenrecht ist ein Hindernis

In der Schweiz dürfen Genossenschaften – ebenso wie Stiftungen und Firmen – Landwirtschaftsland nur mit einer Ausnahmebewilligung kaufen. Das sieht das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) so vor. Dieses will das Kulturland vor Bodenspekulation schützen. Durch diese drohten Bauern in den 80er-Jahren Kulturland zu verlieren. Mit dem Gesetz sollen «das bäuerliche Grundeigentum gefördert und namentlich Familienbetriebe (. . .) erhalten werden». So kann nur landwirtschaftliches Land erwerben, wer über einen spezifischen Berufsabschluss verfügt und das Land selber bestellen wird. Für Gemüsekooperativen stellt das Gesetz ein Problem dar. Obwohl sie mit Spekulanten nichts gemein haben, verunmöglicht es auch ihnen, Landwirtschaftsland direkt zu kaufen und zu bewirtschaften. Sie sind deshalb darauf angewiesen, dass sich eine Fachperson findet, die das Land kauft und anschliessend gemeinsam mit der Genossenschaft bearbeitet. Der Verkauf von Landwirtschaftsland ist bewilligungspflichtig und muss von den Kantonen abgesegnet werden.

Grosse Auswahl an Gemüseabos in Bern

Die Angebote unterscheiden sich teilweise stark.

Wer sein Gemüse im Abonnement beziehen will, dem stehen heute mehrere Anbieter zur Auswahl. Diese sehen sich untereinander nicht als Konkurrenten. Die Nachfrage ist grösser als das derzeitige Angebot. Die einzelnen Anbieter helfen sich untereinander denn auch aus – sei es bei Engpässen, mit Wissen oder mit Material. Aus Konsumentensicht unterscheiden sich die einzelnen Angebote dennoch stark voneinander.

Soliterre (auf Namen klicken, um zur Webseite des Anbieters zu gelangen)
2009 initiierte Soliterre, hinter dem das globalisierungskritische Netzwerk Attac steht, das erste Berner Gemüse-Abo. Produziert wird das Gemüse aber nicht von einer Kooperative, sondern von acht Biobauernhöfen aus der erweiterten Agglomeration Bern. Soliterre beliefert derzeit 320 Abonnenten. Das Angebot verzeichnet jährliche Zuwachsraten von bis zu 15 Prozent. Bis zu 600 Abonnenten könnten künftig beliefert werden. Anders als bei der Gartenkooperative Süri und Radiesli müssen die Kunden nicht mitarbeiten – dürfen dies aber. Sie müssen aber Vereinsmitglied werden. Das Jahres-Abo (kleiner Korb) kostet 960 Franken. Die Körbe können in zehn Depots innerhalb der Stadt Bern abgeholt werden.

Bioabi
Das Produktionskonzept gleicht jenem von Soliterre. Die Produkte stammen aus drei Biobetrieben aus der Region. Die Abnehmer sind aber reine Abnehmer – Mitgliedschaft oder Mitarbeit ist nicht vorgesehen. Anders als bei den anderen Anbietern werden die Produkte direkt nach Hause gefahren. Das Liefergebiet ist auf die Stadt Bern beschränkt. Man prüfe die Ökobilanz regelmässig, heisst es seitens des Anbieters. Innerhalb von acht Jahren konnte die Zahl der Abonnenten auf rund 160 verdoppelt werden. Preis für die kleine Tasche: 960 Franken pro Jahr.

Radiesli
Seit 2013 baut die Worber Kooperative Gemüse an. Aktuell werden 110 Haushalte regelmässig mit einer Gemüse­ration beliefert. Das Gemüse kann vor Ort oder in Abholstationen abgeholt werden. Das Jahres-Abo für einen Zweipersonenhaushalt kostet 1100 Franken. Wer Gemüse beziehen will, muss Genossenschafter werden und mindestens acht Halbtage auf dem Feld mitarbeiten. Trotzdem ist die Nachfrage grösser als das Angebot: Auf der Warteliste befinden sich 20 Namen. Im letzten Jahr konnte das Radiesli einen Bauernhof übernehmen. Seither sind Fleisch-, Eier- und Mehl-Abos dazugekommen. Zudem wird seit kurzem auch Soliterre mit ­Gemüse beliefert.

Biohof Grafenried
Vor zwei Jahren übernahm ein junger Bauer den väterlichen Hof – und lancierte das Gemüse-Abo. Zusammen mit einem Kollegen beliefert der Bauer heute etwas über hundert Abonnenten – Tendenz steigend. Die Abholstationen befinden sich vorwiegend in der Stadt Bern.

Legummes
Der Hof auf der Gumme in Thörishaus beliefert rund 50 Abonnenten. Wer sechs Halbtage mitarbeitet, zahlt weniger. Das Gemüse kann auf dem Hof oder an vier Standorten abgeholt werden. ­Geliefert wird jeweils von Mitte Mai bis Weihnachten. Ein Einstieg ist aber auch unter dem Jahr möglich.

Texte und Umsetzung: Basil Weingartner
Fotos: Franziska Rothenbühler

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