Fahren Sie mehr Tram oder Auto?
Michael Köpfli: Ich habe nicht einmal einen Führerausweis, daher benutze ich das Tram mehr. Noch lieber gehe ich zu Fuss.
Evi Allemann: Da ich ebenfalls keinen Führerausweis besitze, fahre ich häufiger Tram, noch häufiger Velo.
Philippe Müller: Ich bin in der Stadt manchmal mit dem Tram, manchmal mit dem Auto oder dem Velo unterwegs. Das ist abhängig von meinen Zielen.
Das Ostermundigen-Tram wurde vom Volk knapp angenommen. Hat der Kanton ein Stadt-Land-Problem?
Allemann: Es gibt leider tatsächlich einen Graben zwischen Stadt und Land. Die Tram-Abstimmung ist nicht das einzige Beispiel dafür. Der Zusammenhalt des Kantons basiert auf dem gegenseitigen Verständnis von Stadt und ländlichen Regionen. Dass dieses zuweilen zu wünschen übrig lässt, gibt mir zu denken. Künftig müssen wir noch mehr aufzeigen, welchen Nutzen Grossprojekte in der Stadt und Agglomeration Bern für den ganzen Kanton haben. Schliesslich ist diese Region der Wirtschaftsmotor.
Müller: Mir gefällt es nicht, wenn jetzt ein Stadt-Land-Graben herbeigeredet wird. Untersuchungen zeigen, dass in solchen Diskussionen die Ideologien oft eine wichtigere Rolle spielen. Die Umfahrungsstrasse in Aarwangen wurde von Rot-Grün bekämpft, die Bürgerlichen waren dafür. Ob man auf dem Land oder in der Stadt wohnte, spielte keine Rolle.
Die Diskussion im Interview
Köpfli: Bei der Tram-Abstimmung war der Stadt-Land-Graben ein Aspekt. Ich glaube aber nicht, dass die Leute auf dem Land aus Prinzip gegen das Tram stimmten, nur weil sie es der Stadt nicht gönnten. Die Gründe für die vielen Nein-Stimmen sind auch in der Stadt zu suchen. Die aktivsten Referendumsführer im ganzen Kanton waren vor allem Städter von links und rechts aussen.
Allemann: Die Tram-Gegner aus der Stadt bewirtschafteten gezielt den Anti-Stadt-Reflex. Sie schürten Ängste, dass auf dem Land etwa bei Poststellen oder Buslinien abgebaut werden, während sich die Stadt angeblich Luxus leistet. Dieses Schüren von Missgunst bereitet mir Sorgen.
Müller: Ich bin jetzt froh, dass Sie nicht mehr nur von einem Stadt-Land-Graben sprechen. Die Tram-Befürworter haben zu stark über die Vorbehalte gegenüber der Linienführung und den Kosten hinweggesehen. Man muss aber die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Wenn das Verständnis dafür fehlt, muss dieses geschaffen werden.
Allemann: Eigentlich sprechen wir vom Gleichen. Es ist genau dieses mangelnde Verständnis, das den Stadt-Land-Graben ausmacht.
Interview: Adrian Schmid und Marcello Odermatt
Ist das mangelnde Verständnis auf unterschiedliche Mentalitäten
zurückzuführen? In den städtischen Badis wird über hippes Essen wie Baba Ghanoush diskutiert, auf dem Land sind Pommes frites gesetzt.
Allemann: Ich liebe Pommes frites, und mein Umfeld möchte sie in der Badi auch nicht missen. Das Problem ist, dass solche Debatten schnell elitär und arrogant wirken. Wenn wir mit einer städtischen Überheblichkeit aufs Land schauen und meinen, dort lebten nur Hinterwäldler, liegen wir falsch. Viele, die heute in der Stadt wohnen, haben wie ich eine ländliche Vergangenheit. Umgekehrt gibt es viele Leute vom Land, die in der Stadt arbeiten und hierher in den Ausgang kommen. Die Mobilität ist gross, was eigentlich eine gute Voraussetzung fürs gegenseitige Verständnis wäre.
Köpfli: Andererseits bewegen sich die Leute weltweit immer mehr in eigenen Lebensrealitäten. Auch in den sozialen Medien trifft man fast nur noch Leute, die das Gleiche denken. Das ist schlecht für die Gesellschaft. Da muss man nicht nur im Kanton Bern Antworten finden. Wer eine liberale Grundeinstellung hat, sollte auch unterschiedliche Lebensentwürfe zulassen und schätzen.
Allemann: Das Problem ist, dass sich Stadt und Land in einem riesigen Wandel befinden. Das Land ist sogar noch stärker davon betroffen. Möglicherweise sind deswegen auch die Ängste dort grösser. In der Stadt gibt es immer noch viele Arbeitsplätze, ein gutes Angebot an öffentlichen Dienstleistungen und Verkehrsmitteln. Auf dem Land wird dieses zunehmend abgebaut. Schulen, Dorfläden oder Poststellen werden infrage gestellt. So entsteht das Gefühl, dass es im Dorf immer weniger und in der Stadt immer mehr gibt.
Köpfli: Der Kanton Bern braucht einen Strukturwandel, um vorwärtszukommen. Dabei muss die Stadt eine Vorreiterrolle einnehmen. Selbst hier gibt es aber einen Aufstand, wenn eine Quartierpost geschlossen werden soll. Dabei müssen die Leute nur ein paar Tramstationen weiterfahren, um zur Hauptpost zu gelangen, die erst noch längere Öffnungszeiten hat. Dafür haben die Leute auf dem Land kein Verständnis. Wenn sich die Stadt bei solchen Fragen mehr bewegen würde, gäbe es auch mehr Goodwill vom Land bei grossen Projekten.
Müller: Das gegenseitige Ausspielen von Stadt und Land gefällt mir nicht. So riesig ist der Kanton Bern auch wieder nicht im Vergleich mit anderen Ländern. In der Stadt Bern ist insbesondere die rot-grüne Mehrheit gefordert. Obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert an der Macht ist, will sie der bürgerlichen Minderheit nach wie vor den Tarif durchgeben, inklusive beim Essen in der Badi. Dies führt dazu, dass der Vertreter der städtischen SVP an der Versammlung des kantonalen Gewerbeverbands als Argument gegen das Tram vorbringt, dass Rot-Grün keine Rücksicht auf die Minderheit nehme. Die Stadt Bern hätte im Gesamtkanton eine bessere Position, wenn die linke Mehrheit weniger arrogant aufträte.
Köpfli: In der Stadt Bern gibt es auch in der linken Mehrheit viele Leute, die konstruktiv sind. Als arrogant erscheinen vor allem diejenigen, die viel Öffentlichkeit suchen. Bei der Abstimmung über die Kita-Gutscheine, die von einer breiten Allianz von Mitte-links bis SVP unterstützt wurden, warf man uns vor, wir wollten die Kinder dem freien Markt aussetzen. Die Linke wollte partout keinen anderen Ansatz zulassen. Heute möchte das Gutscheinsystem aber niemand mehr ändern.
Allemann: Rot-Grün hat sehr viel Macht in der Stadt Bern im Vergleich zur Bundes- und Kantonsebene. Die Gefahr von klaren Mehrheitsverhältnissen ist auf allen Ebenen, dass man sich schneller mit einem Vorschlag zufriedengibt und weniger argumentiert und verhandelt. Dies führt nicht automatisch zu besseren Lösungen. Die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen ist immer bereichernd für die Politik, auch wenn die Prozesse manchmal mühsam sind und länger dauern. Im Kanton sind die Bürgerlichen jedoch in einer ähnlich komfortablen Situation wie Rot-Grün in der Stadt Bern.
Wie können die Differenzen zwischen Stadt und Land überwunden werden?
Allemann: Es braucht eine Politik, die sowohl für die Stadt wie den ländlichen Raum attraktiv ist. Auf dem Land müssen ebenfalls Arbeitsplätze angesiedelt werden. Wichtig ist auch ein guter Service public und Investitionen in die Bildung und das Gesundheitswesen. Mir ist bewusst, dass dies etwas kostet. Dadurch kann der Graben aber verkleinert werden.
Köpfli: Die Politik kann aber nicht alleine dafür sorgen, dass sich die Unternehmen auf dem Land niederlassen. Daher muss sich der Staat fragen, wo er selbst etwas beitragen kann. Der Kanton hat die Möglichkeit, gewisse Ämter von der Stadt aufs Land zu verlegen. Für einen Angestellten der öffentlichen Verwaltung ist es zumutbar, statt in der Stadt Bern im Oberland oder im Emmental zu arbeiten. So könnten die Verluste von Arbeitsplätzen auf dem Land kompensiert und die Pendlerströme in die Stadt reduziert werden. Zudem würden in der Stadt ideale Räumlichkeiten für innovative Unternehmen frei.
Müller: Man siedelt in den Landregionen auch noch ein paar Jobs an: Dies hat für mich etwas Gönnerhaftes. Bei der Verwaltung ist durchaus Potenzial vorhanden, das bestreite ich nicht. In erster Linie schaffen aber private Unternehmen Arbeitsplätze. Der Staat kann dies nur über die berühmten Rahmenbedingungen beeinflussen. Wichtig sind eine gute Erschliessung und tiefe Steuern. Bei einer Unternehmensansiedlung sind die Steuern ein entscheidender Faktor, ob man das nun gerne hört oder nicht.
Frau Allemann, SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg ist die neue starke Figur der Bürgerlichen. Wie wollen Sie ihm Paroli bieten?
Allemann: Ich will nicht einfach Nein zu seiner Politik sagen, sondern Alternativen aufzeigen. In der Sozialhilfe etwa haben die Städte dargelegt, dass man die Leute in den Arbeitsmarkt integrieren kann, indem die öffentliche Hand aktiv auf Firmen zugeht, damit diese Stellen für wenig qualifiziertes Personal schaffen. Man kann in diesem Bereich effizienter werden, ohne den Schwächsten auf die Füsse zu treten.
Müller: So möchte ich mir auch auf die Füsse treten lassen. Der Sozialbereich ist mittlerweile der grösste Ausgabenposten des Kantons, die Bildung wurde überholt. Zwischen 2008 und 2016 stiegen die jährlichen Sozialausgaben um 1,1 Milliarden Franken, von 1,8 auf 2,9 Milliarden. Es ist daher richtig, in der Sozialhilfe zumindest den Grundbedarf um 8 Prozent zu kürzen.
Allemann: Bei den Sozialausgaben geht es letztlich immer um Menschen. Die steigenden Ausgaben sind eine Herausforderung, das stelle ich nicht in Abrede. Es ist aber falsch zu meinen, dass das Problem durch Kürzungen beim Grundbedarf gelöst werden kann. Man kürzt bei Menschen, die schlecht ausgebildet sind, statt dass man Perspektiven schafft. Ein Drittel der Sozialhilfebezüger sind Kinder. Da braucht es andere Massnahmen als Anreize zur Arbeitsintegration.
Müller: Hier zeigt sich die Empörungsbewirtschaftung der Linken. Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt wieder von sozialer Kälte sprechen. Schnegg packt längst fällige Reformen an.
Köpfli: Ich bin auch der Meinung, dass das Sozialwesen effizienter gestaltet werden muss. Zum Teil gehen die Sparbemühungen der Rechtsbürgerlichen jedoch zu weit. Noch mehr stört mich, dass andernorts nicht gespart wird: etwa bei Subventionen für Kirchen oder Viehschauen. Bevor im Sozial- und Bildungsbereich einschneidende Massnahmen beschlossen werden, sollte man endlich die heiligen Kühe im Kanton Bern anpacken. Beim Freisinn und noch viel mehr bei der SVP fehlt mir die Bereitschaft, bei der eigenen Klientel zu sparen.
Müller: Ich gebe zu, die Viehschauen waren ein gelungener PR-Gag von Ihnen. Es bringt aber nichts, wenn man Einzelbeispiele herauspickt. Das führt zu einem ewigen Pingpong, der Kanton Bern kommt dadurch keinen Millimeter vorwärts. Wir müssen im Rahmen einer Gesamtschau nach Sparmassnahmen und Wachstumsmöglichkeiten für die Wirtschaft suchen.
Köpfli: Die Diskussion muss aber auch einmal konkret werden. Sonst bewegen wir uns immer nur auf einer Metaebene, ohne dass sich etwas ändert.
Herr Köpfli, wenn Sie Regierungsrat werden wollen, müssen Sie wohl Allemann oder Müller schlagen. Auf wen haben Sie es abgesehen?
Köpfli: Am liebsten möchte ich beide hinter mir lassen. In einer Majorzwahl muss ich aber nicht explizit gegen eine Person antreten. Am Schluss möchte ich eine der sieben Personen sein, die gewählt werden.
Frau Allemann und Herr Müller, Sie gelten als so gut wie gewählt. Ist der Wahlkampf für Sie langweilig?
Müller: Überhaupt nicht. Auf meiner Tour de Berne lerne ich viele Leute kennen. Es ist gefährlich, wenn man schon im Voraus denkt, die Wahl sei entschieden.
Allemann: Wahlen sind nie zu 100 Prozent berechenbar. Darum bin ich jetzt genauso engagiert wie in früheren Wahlkämpfen. Der Wahltag ist am 25. März, bis dahin sind wir nicht gewählt.
Evi Allemann, aufgewachsen in Grossaffoltern
Evi Allemann bezeichnet sich selbst als urbanes Landei. Sie stammt ursprünglich aus der Seeländer Gemeinde Grossaffoltern, mittlerweile wohnt sie seit Jahren in der Stadt Bern. Einst war die SP-Politikerin jüngste Grossrätin, nach dem Wechsel 2003 ins Bundeshaus jüngste Nationalrätin. Als Jungpolitikerin wurde sie als «rote Evi» bezeichnet, später ging sie als Sicherheitspolitikerin mit den bürgerlichen Armeefreunden auf Konfrontationskurs. Sie politisiert aber am rechten Flügel der SP, sie macht auch bei der Plattform für «reformorientierte» Parteimitglieder mit. Nun soll die 39-jährige Juristin die Nachfolge von Bau- und Verkehrsdirektorin Barbara Egger antreten, die zurücktritt. Allemann ist Präsidentin des Verkehrs-Clubs der Schweiz, Verwaltungsrätin bei Bernmobil – und Mutter von zwei Kindern.
Michael Köpfli, aufgewachsen in Liestal
Michael Köpfli ist nach eigenen Angaben neben einer Kuhwiese aufgewachsen. Diese befand sich in Liestal im Kanton Basel-Landschaft. In der Zwischenzeit wohnt Köpfli in Bern, wo er sich mit seiner Partnerin im Kirchenfeldquartier niedergelassen hat. Köpfli ist Gründungsmitglied der Grünliberalen. Der 35-Jährige gehört seit 2015 dem Grossen Rat an. Zuvor sass er im Berner Stadtparlament, wo er während sechs Jahren Fraktionspräsident war. Ein wichtiges Anliegen von Köpfli ist das Aufbrechen von alten Strukturen im Kanton Bern, immer wieder reicht er Vorstösse dazu im Kantonsparlament ein. Köpfli ist ausgebildeter Ökonom und arbeitet als Generalsekretär der GLP Schweiz. Zudem engagiert er sich in der Freidenkerbewegung. Früher betrieb er Leistungssport, 2002 war er Junioren-Schweizer-Meister im Halbmarathon.
Philippe Müller, aufgewachsen in Stettlen
Philippe Müller erzählt gerne, dass er in seiner Jugend bei Bauern aushalf. Er stammt aus der Berner Agglomerationsgemeinde Stettlen. Inzwischen wohnt der FDP-Politiker mit seiner Partnerin und der gemeinsamen Tochter im Kirchenfeldquartier in der Stadt Bern. Beruflich weilt der ausgebildete Ingenieur-Agronom und Fürsprecher oft auf Auslandreise. Er gehört der Geschäftsleitung der CSL Behring an, die Firma baut in Lengnau ein neues Werk. Müller ist 55 Jahre alt und soll für die FDP den Sitz von Polizeidirektor Hans-Jürg Käser verteidigen, der sich nach den Wahlen aus der Kantonsregierung zurückzieht. Seit 2010 ist Müller Grossrat. Zuvor war er Berner Stadtrat, er leitete auch die städtische Sektion des Freisinns. Eines von Müllers bevorzugten Dossiers ist die Sicherheitspolitik. Nach eigenen Angaben politisiert er in der Mitte der FDP.