Die Akte Hugo Ball und Emmy Hennings

Wie zwei Dadaisten ihre Zeit in Bern verbrachten.

Intensive Lebensgemeinschaft: Emmy Hennings und Hugo Ball 1921 in Agnuzzo im Tessin.

Intensive Lebensgemeinschaft: Emmy Hennings und Hugo Ball 1921 in Agnuzzo im Tessin.

Vor hundert Jahren wurden die beiden Mitbegründer des Dadaismus in der Schweiz Opfer einer politisch motivierten Untersuchung und wären beinahe ausgewiesen worden. Die Zwischenstation in Bern erwies sich als Wendepunkt im Leben des Dichter- und Künstlerpaars.

Text: Lucas Marco Gisi; Bilder: Schweizerisches Literaturarchiv (SLA); Umsetzung: cse

Einen brennenden Ofen trägt ein grossgewachsener, hagerer Mann im Winter 1919/1920 jeweils morgens über die ­Marzilistrasse, von seinem Zimmer in der Hausnummer 30 zur Nummer 23, gleich gegenüber, wo seine Verlobte lebt. Beim gemeinsamen Frühstück liest er aus seiner in den Nächten entstehenden Streitschrift «Zur Kritik der deutschen Intelligenz» vor, in der er die Schuld des Deutschen Kaiserreichs am Ersten Weltkrieg aus der «deutschen Staatsidee» herleiten will.

Es sind schöne Stunden, die das Paar in dem «Stübchen» an der Kleinen Aare verbringt, die damals noch die Marzilistrasse entlangfloss. Nach schweren Zeiten, die durch wechselnde Wohnorte und Engagements, durch Trennungen und vor allem durch bitterste materielle Not geprägt sind, leben Hugo Ball und Emmy Hennings wieder in der gleichen Stadt.

Es ist aber auch eine stille Zeit; denn über die gemeinsam in Bern verbrachten knapp zwei Jahre ist vergleichsweise wenig bekannt. In ihren autobiografischen Texten berichtet Emmy Hennings über Konzertbesuche im Kursaal und dass sie infolge der Spanischen Grippe mit einer Lungenentzündung im Lindenhofspital lag, als Ball ihr das erste gedruckte ­Exemplar seiner «Kritik» zeigen wollte. Man kennt die Adressen und die berufliche Vernetzung des Publizisten und der Schriftstellerin, aber ein Foto von ihnen aus dieser Zeit ist nicht überliefert.

Als Emigranten sind Ball und Hennings während des Ersten Weltkriegs aus Berlin nach Zürich gekommen und haben dort 1916 als Mitbegründer des Dadaismus für Furore gesorgt. Sie ziehen ein avantgardistisches Kabarett auf, performen Lautgedichte, drucken Zeitschriften und eröffnen eine Galerie. Doch schon bald sagen sie sich von dem Dadaistenkreis los und ziehen sich ins ­Tessin zurück. Auf der Alp Brussada im Maggiatal findet das Paar sein Paradies – und beide beginnen, ihren ersten Roman zu schreiben. Als das Geld knapp wird, kehren sie nach Zürich zurück. Hennings versucht sich in verschiedenen Brotberufen und tritt zwischendurch wieder im Variété auf.

Hugo Ball 1914 auf der Bühne in kubistischem Kostüm, Zürich.

Hugo Ball 1914 auf der Bühne in kubistischem Kostüm, Zürich.

«Was willst Du im faden Bern?»

Im Herbst 1917 reist Ball nach Bern, weil er auf eine Stelle bei einer von dem pazifistischen Schriftsteller René ­Schickele geplanten Zeitschrift hofft, aber offenbar auch, weil Hennings sich eingeengt fühlt. In seinem Tagebuch «Flucht aus der Zeit» konstatiert er: «Nun fühle ich mich in dieser mir fremden Stadt recht verlassen. In Zürich die ästhetische, hier die politische Hälfte.» Auf der Bundesterrasse sitzend, legt er sich die Welt zurecht, «wie sie ist und wie sie sein könnte», und entscheidet, «den Ästheten der Politik aufzuopfern».

Die Stadt Bern erweist sich als idealer Ort, um die europäische Politik und die Propaganda der Kriegsparteien zu studieren. Hennings nennt sie die «Stadt der politischen Pressebüros». Ball lebt in einer Mansarde an der Laupenstrasse 4a, der ersten seiner fünf Berner Adressen. Im Jahr der Trennung schreibt er seiner Partnerin fast täglich, fastet, um ihr Geld schicken zu können, ab und an besuchen sie sich. Der Briefwechsel legt Zeugnis ab von einer tiefgründigen, aber auf eine harte Probe gestellten Liebesbeziehung. Immer wieder schlägt Ball Hennings vor, nach Bern zu ziehen.

Aber sie zögert: «Was willst du andauernd in dem faden Bern? Wir müssen zurück zur Natur!» Dort könnten sie ihre «Ideale verwirklichen» und nicht in der Stadt. Aber Ball ist Bern mittlerweile «sehr lieb geworden», und ausschlaggebend sind letztlich die realen Verdienstmöglichkeiten. Im Mai 1918 kriegt Ball eine Stelle in der Redaktion der «Freien Zeitung», die sich publizistisch vornehmlich mit der Kriegsschuldfrage Deutschlands beschäftigt und für die er bereits verschiedene Artikel verfasst hat.

Bern erweist sich als idealer Ort, um die europäische Politik und die Propaganda der Kriegsparteien zu studieren.

Emmy Hennings.

Emmy Hennings.

Bloch und Benjamin als Nachbarn

«Juhu! Djuhu! Hei! Wir kommen also», jubelt Hennings Ball am 22. Mai zu und zieht mit ihrer Tochter aus erster Ehe nach Bern um. Drei Monate später wird Ball literarischer Leiter des aus der Zeitung hervorgegangenen Freien Verlags mit Sitz erst an der Zieglerstrasse 8, dann am Falkenplatz 22. Hennings arbeitet als «Bürolistin» und an ihrem zweiten Roman «Das Brandmal».

Man pflegt einen freundschaftlichen Umgang mit dem Philosophen Ernst Bloch und dessen Frau Else sowie mit Walter Benjamin, der an derselben Strasse wohnt, an der Universität Bern an seiner Dissertation arbeitet und sich für die Bilder von Hennings’ 13-jähriger Tochter Annemarie begeistert. Das Paar scheint beruflich, privat und gesellschaftlich in Bern angekommen zu sein.

Doch ganz so unbeschwert war dessen Berner Zeit nicht, wie eine Bemerkung in einem Brief Balls an den Zürcher Sozialisten Fritz Brupbacher vom 23. August 1919 vermuten lässt. Die Zürcher Polizei habe «frühere Zürcher Klatschgeschichten» ausgegraben und versuche diese nun gegen ihn und Hennings zu verwenden: «Wird wohl nichts werden draus, weil die Herren ein wenig oberflächlich vorgegangen sind, aber symptomatisch ist es.»

Eine Zürcher Denunziation

Handelte es sich bei diesen Untersuchungen, die Ball einzig in diesem einen Brief beiläufig erwähnt, tatsächlich bloss um eine Lappalie? Bekannt ist, dass der Detektiv Wahl in einem Bericht für die Stadtpolizei Zürich vom 2. Juli 1919 Ball und Hennings denunziert, Artikel in revolutionären Zeitschriften publiziert zu haben, und die alten Vorwürfe von 1915 wegen Ausweisfälschung, Zuhälterei und Beziehungen zu Anarchisten- und Sozialistenkreisen aufgreift. Handschriftlich ist unten am Bericht vermerkt, Ball und Hennings «gehören ohne Aufschub ausgewiesen».

Der Bericht wird an die Bundes­anwaltschaft weitergereicht, die damals in Zusammenarbeit mit den Kantonen gegen bolschewistische Umtriebe in der Schweiz ermittelte und die den Berner Detektiv Frey beauftragt, dem Verdacht nachzugehen, dass die beiden «revolutionäre Ideen propagieren». Dieser findet jedoch keine Anhaltspunkte. Gleichwohl werde die Stadtpolizei Bern einen Ausweisungsantrag stellen, da sich die beiden «über ihre Erwerbsquellen zu wenig glaubwürdig ausweisen können». Auch dieser Detektivbericht vom 15. Juli 1919 liegt im Bundesarchiv und ist bekannt. Kaum etwas wusste man bisher hingegen über den Fortgang der Untersuchung.

Der ominöse 1 Dollarschein in den Akten. Fotos: Franziska Rothenbühler

Der ominöse 1 Dollarschein in den Akten. Fotos: Franziska Rothenbühler

Verhör bei der Stadtpolizei

Aufschluss gibt das umfangreiche Dossier mit dem Aktenzeichen 6188/19, das erst jetzt im Staatsarchiv des Kantons Bern entdeckt wurde. Anhand der über dreissig Dokumente lässt sich nachvollziehen, wie durch eine offensichtlich falsche Denunziation eine polizeiliche Untersuchung in Gang gesetzt wurde, an der sich alle Instanzen von der Berner Stadtpolizei bis zur Bundesanwaltschaft beteiligten und die tatsächlich beinahe zur Ausweisung von Ball und Hennings geführt hätte.

Gleich am 15. Juli, 9 Uhr, wird Ball von der Stadtpolizei verhört. «Die Freie Zeitung ist gegen Bolschewismus und Spartakismus. Ich selbst gehöre keiner politischen Partei an», gibt er zu Protokoll. Mit seiner Arbeit verdiene er genug. Eine halbe Stunde später, um 9.30 Uhr, wird Emmy Hennings verhört. In dem von ihr unterschriebenen Verhörprotokoll steht: «Ich treibe absolut keine Politik. Ich verdiene nicht gerade viel, dagegen hat Herr Ball genügend Einnahmen, um mich zu unterstützen.» Seit mehreren Jahren begleite sie Ball, habe aber nie mit ihm zusammengewohnt. Sie wollten heiraten.

Der Zürcher Bericht –der fast ausschliesslich alte Vorwürfe aus den Jahren 1915 und 1916 umfasst – beinhalte genügend Gründe für eine Ausweisung, rapportieren die Polizeibeamten. Schon tags darauf beantragt der Berner Polizeidirektor Oskar Schneeberger beim ­Regierungsstatthalter die Ausweisung, da sich die beiden über den «Zweck ihres Aufenthaltes in der Schweiz nicht in ­genügender Weise auszuweisen» vermöchten.

Der ersten Vorladung des seit 1907 amtierenden Regierungsstatthalters Fritz Roth am 22. Juli können Ball und Hennings nicht Folge leisten, da sie im Tessin in den Ferien sind. Nach ihrer Rückkehr wendet sich Feitel Lifschitz, Privatdozent für Nationalökonomie an der Universität Bern, Autor des Freien Verlags und Freund des Paares, persönlich und schriftlich an den Regierungsstatthalter, um diesem zu versichern, dass seine langjährige Bekannte Emmy Hennings sich «weder persönlich noch in ihren literarischen Arbeiten im geringsten mit Politik, geschweige denn mit revolutionären Umtrieben» beschäftige. Er bezeuge, dass es sich um eine «durchaus harmlose Person» handle.

Detektiv Frey wird beauftragt, dem Verdacht nachzugehen, dass die beiden «revolutionäre Ideen propagieren».

«Abgelebtes Aussehen»

Auf den 14. August, 16 Uhr, wird das Paar erneut vorgeladen. Ball wehrt sich gegen den Vorwurf der linksextremen politischen Agitation (er arbeite vielmehr «gegen den Bolschewismus»), Hennings gegen den Vorwurf des fehlenden Aufenthaltsgrundes (sie sei auf die finanzielle Unterstützung ihres Bräutigams angewiesen). Vier Tage später überbringen sie dem Regierungsstatthalter Roth persönlich je einen Brief, in dem sie die Zürcher Vorwürfe nochmals Punkt für Punkt zurückweisen.

Um den literarischen und materiellen Wert ihrer schriftstellerischen Arbeit zu belegen, legt Hennings Zusagen von Zeitungsredaktionen bei, unter anderem eine Karte des «Bund»-Redaktors Walter Reitz. Ball bringt eine Argumentation vor, die von seiner persönlichen Situation zu den Interessen des Landes führt: Er habe die «moralische Pflicht» übernommen, seine Braut bei ihrer «beginnenden literarischen Karriere» zu unterstützen. Werde sie ausgewiesen, müsse auch er das Land verlassen. Das würde aber dem Freien Verlag und der «Freien Zeitung» schaden, da er dort eine «wichtige Stellung» einnehme. Dies wiederum wäre nicht im «Interesse des Landes», das bei der «Bekämpfung der bolschewistischen Umtriebe» von Verlag und Zeitung unterstützt werde. – Alles vergeblich.

Die Akten gehen an die Stadtpolizei zurück, die an den Anträgen festhält und die Einwände von Ball und Hennings mit den vielsagenden, fast identischen Formulierungen zurückweist: «Er/Sie müsste nicht Schriftsteller/-in sein, wenn er/sie diese Einwände nicht geschickt zu formulieren und sich selbst in ein möglichst gutes Licht zu stellen wüsste.» Der Regierungsstatthalter Roth wiederum gibt den Fall an die kantonale Polizei­direktion weiter, die die Ausweisung im Schweizerischen Polizeianzeiger ausschreiben will, inklusive Signalement: «schlank, hagere Gestalt, bleiches mageres Gesicht, abgelebtes Aussehen» und «schlank, bleiches längliches Gesicht, abgelebtes Aussehen».

Im Haus Marzilistrasse 23 (rechts) lebte Emmy Hennings in Bern. Foto: Burgerbibliothek

Im Haus Marzilistrasse 23 (rechts) lebte Emmy Hennings in Bern. Foto: Burgerbibliothek

Der geschickte Fürsprecher Hügli

Das Paar braucht Unterstützung und findet diese in dem bekannten Fürsprecher Emil Hügli, mit dem Ball seit 1917 befreundet ist und den man bei seinem Ableben 1929 als einen «seltenen Menschen» und Anwalt mit einer «sozialen und moralischen Mission» loben wird. In seiner Eingabe vom 18. September warnt Hügli den Regierungsstatthalter Roth, dass das Vorgehen gegen Ball, «abgesehen von seiner totalen Unbegründetheit, für die Schweiz die bedenklichsten Folgen haben kann».

Auf elf Seiten und mit fünf Beilagen legt er anhand der Biografien von Ball und Hennings eine umfassende Verteidigungsschrift vor. Durch die gute Zusammenarbeit mit der amerikanischen Propagandastelle in Bern sei der von Ball geleitete Freie Verlag zu einem «weltbekannten Unternehmen» geworden, das für – durchaus schweizerische – republikanische Werte einstehe. Der Verlag und namentlich sein international als «überzeugter Bekämpfer des Bolschewismus» bekannter Leiter seien jedoch auch mehrmals Ziel von Beschwerden und Attacken des deutschen Propagandadienstes geworden und hätten von der Bundesanwaltschaft in Schutz genommen werden müssen.

Mit klaren Worten warnt Hügli, dass eine Ausweisung Balls international grosses Aufsehen erregen und als Zeichen für das Wiedererstarken der deutschen Propaganda in der Schweiz aufgefasst würde. Äusserst geschickt rechnet er dem Regierungsstatthalter die politischen Konsequenzen der politischen Kampagne gegen Ball vor.

Die Dokumente werfen auch neue Fragen auf: Warum findet sich etwa in der Akte ein 1 Dollarschein?

«Keinerlei Bedenken»

Am 23. September 1919 schaltet sich die Schweizerische Bundesanwaltschaft ein und bittet den Berner Regierungsstatthalter um Aufklärung, da Ball sich über die Einvernahme und die drohende Ausweisung beklagt habe. Die von Hügli offengelegte politische Dimension des Falls lässt nun auch die kantonale Polizei­direktion zurückschrecken. Da der Ausweisung Balls möglicherweise «an gewissen Stellen politische Bedeutung beigemessen werden könnte», reicht sie die ganze Akte am 2. Oktober an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement weiter, auch zuhanden der Bundesanwaltschaft, bei der politische Aktivitäten, zumal von Emigranten, zu melden sind. Der Ausweisung von Hennings hingegen würden «keinerlei Bedenken» aufgrund politischer Verstrickungen entgegenstehen. Doch ihre Angelegenheit müsse im Zusammenhang mit derjenigen Balls behandelt werden, da die beiden erklärten, möglichst bald heiraten zu wollen.

Im Einverständnis mit der Bundes­anwaltschaft teilt das Justiz- und Polizeidepartement der Kantonspolizei Bern am 21. Oktober schliesslich mit, dass die «tatsächlichen Unterlagen» für eine Ausweisung durch den Bundesrat wegen Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes nach Artikel 70 der Bundesverfassung von 1874 fehlten. Es liege aber ganz in der Kompetenz der Kantone, eine Ausweisung wegen ungenügenden Nachweises des Aufenthaltszwecks zu verfügen. Mit dem Argument der illegalen politischen Aktivität war dem Ausweisungsverfahren gegen Ball die Grundlage entzogen worden. Schliesslich hatte er in Bern nachweislich eine gute Stelle und ein ausreichendes Einkommen.

Etwas anders sah es für Hennings aus, die als freie Schriftstellerin gemeldet war und von Balls Unterstützung lebte. Nachdem die politisch motivierte Affäre überstanden war, galt es also, endlich zu heiraten. Anhand der umfangreichen Akte zu Ball und Hennings lässt sich eine als polizeiliche Untersuchung getarnte politische Kampagne rekonstruieren, von der bisher nur die Eckdaten bekannt waren und über die sich die Beteiligten weitgehend ausschwiegen. Die Dokumente werfen aber auch neue Fragen auf: Warum findet sich etwa in der Akte ein 1-Dollar-Schein? Zwar wurde immer wieder der Verdacht geäussert, die «Freie Zeitung» werde von amerikanischer Seite unterstützt. Aber wie ist der Schein zwischen die amtlichen Dokumente geraten?

Triumph der Liebe

In ihrer Autobiografie wird Emmy Hennings später schreiben, sie habe bereits bei der ersten Begegnung und noch ohne seinen Namen zu kennen, geahnt, dass Ball der für sie bestimmte Mann sein würde. Längst sprachen sie sich in ihren Briefen als Mann und Frau an und bildeten faktisch eine Lebensgemeinschaft, indem sie füreinander sorgten, auch wenn sie getrennt lebten.

Was folgte, war also zweifellos eine Liebesheirat – und doch waren es auch die Umstände, die drohende Ausweisung, die sie dazu zwangen, diesen Schritt so bald wie möglich zu tun. Am 21. Februar 1920 heiraten Hennings und Ball in Bern in aller Stille – im letzten Moment, denn im März gehen die «Freie Zeitung» und der Freie Verlag in Konkurs. Ein paar Wochen später verlassen sie die Stadt, erst in Richtung Deutschland, um schliesslich ins Paradies, in ihre Wahlheimat im Tessin, zurückzukehren.

Den Ofen nahmen sie mit

Bern blieb für Hugo Ball und Emmy Hennings lediglich eine Zwischenstation, die sich aber als Wendepunkt in ihren Biografien erweisen sollte. Für Hennings geht hier das unstete Leben des Variété und Kabaretts zu Ende. Sie verabschiedet sich von der Bühne und etabliert sich mit dem 1919 erschienenen Buch «Gefängnis» erfolgreich als Romanautorin. Mit seinem Umzug nach Bern sagt sich Ball von der Literatur und Kunst los, um politischer Publizist zu werden. Die Politik wird er bei der Abreise 1920 in der  Bundesstadt zurücklassen, um sich ganz der Religion zuzuwenden und in einen eigenwilligen katholischen Mystizismus zurückzuziehen.

Den Petroleumofen der Marke Triumph aber, dem sie in Bern glückliche gemeinsame Morgenstunden verdankten, nehmen sie mit. «Er hat sich bewährt, solange wir beieinander waren, noch zehn schöne Jahre lang», erinnert sich Emmy Hennings später in der nachgelassenen Biografie ihres 1927 verstorbenen Ehemannes.

Lucas Marco Gisi ist Literaturwissenschaftler und arbeitet am Schweizerischen Literaturarchiv in Bern, wo er u.a. den Nachlass von Emmy Hennings betreut.

«Lieb mich von allen Sünden rein»

Mit einer Soirée im Schweizerischen Literaturarchiv wird das literarische Werk von Emmy Hennings gewürdigt und in Bezug zu aktuellen Tendenzen in der Gegenwartsliteratur gesetzt. Die Berner Autorin Ariane von Graffenried («Babylon Park») spricht über ihr Verhältnis zur dadaistischen Performance-Künstlerin und Avantgarde-Autorin und performt eigene Texte. Die Schauspielerin Heidi Maria Glössner liest Texte von Emmy Hennings. (klb)
Schweizerisches Literaturarchiv, Mittwoch, 24. April 2019, 18.00 Uhr

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