Raus aus den engen Grenzen des selbstgestrickten Egos

Stille, Genügsamkeit, Kontemplation.

Im buddhistischen Kloster Dhammapala in Kandersteg funktioniert der Alltag fernab von emsiger Betriebsamkeit.

Wenn am Mittwochabend der Vollmond scheint, ist das für die Buddhisten ein besonderer Anlass. Jedes Jahr im Mai begehen sie ihren höchsten Feiertag: Am sogenannten Veshak-Fest werden die Geburt und das spirituelle Erwachen Buddhas gefeiert. Buddha ist ausgerechnet auch im Berner Oberland ein Thema. Seit mehr als zwanzig Jahren steht in Kandersteg das buddhistische Kloster Dhammapala, in welchem zurzeit fünf Mönche leben. Auf den ersten Blick sieht das Kloster aus wie alle anderen Kandersteger Chalets. Es steht am Waldrand, eingeklemmt zwischen steil abfallenden Berghängen, und wurde 1906 als Hotel gebaut – mitten in der höchsten Lawinengefahrenstufe (siehe Kasten). Dies war einer der Gründe, warum das Haus 1991 vom Unterstützerverein des Klosters zu einem günstigen Preis gekauft werden konnte.

Wenig Schlaf und Genügsamkeit

Die Mönche im Kloster Dhammapala haben sich dem strengen Regelwerk der thailändischen Theravada-Tradition unterworfen (siehe Kasten links). Ihr Tag beginnt mit einem der Grundsätze des Mönchslebens: Verzicht auf übermässigen Schlaf. Dies spiegelt sich in der Uhrzeit, zu der die Morgenmeditation angesetzt ist: 5.30 Uhr. Der klösterliche Tagesablauf folgt einem Schema, das zugleich streng und freilassend ist und Arbeitsperioden, gemeinsame Essen und eine Abendmeditation umfasst. Dazwischen bleibt viel Zeit für individuelles Meditieren, Lesen, Arbeiten und Spazierengehen. Bis ein Uhr mittags müssen die Mönche ihre Mahlzeit eingenommen haben. Danach dürfen sie bis zum Morgen des nächsten Tages nichts mehr essen. Das ist ein weiterer Grundsatz des Klosterlebens: Genügsamkeit. Denn gegessen werden soll nur das, was der Körper zum Überleben braucht.

Das Kloster Dhammapala – eine bewegte Geschichte

Die Idee eines buddhistischen Waldkloster-Projekts in der Schweiz wurde mit Hilfe der lokalen Bevölkerung 1988 zunächst in Konolfingen in einer Wohnung realisiert. Wie Gründungsmitglied Ajahn Thiradhammo erzählt, war die Umgebung für ein Waldkloster aber nicht optimal. Auf der Suche nach Alternativen sei man auf das ehemalige Hotel in Kandersteg gestossen. 1992 bezogen drei Mönche und ein Novize das Gebäude mit 60  Betten und 21  Zimmern. Im Verlauf der Jahre konnte es Stück für Stück renoviert werden. Mittlerweile ist das Kloster Dhammapala eine wichtige Anlaufstelle für Buddhisten in der Schweiz, steht aber auch anderen Interessierten offen.

Ziel des buddhistischen Strebens ist das Ausbrechen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten und das Erreichen des Nirwanas – eines Zustands der friedvollen Erlösung. Neben der kontinuierlichen Arbeit an sich selbst bedingt dies aus Sicht der Buddhisten die Loslösung von herkömmlichen Freiheiten und von allen materiellen und weltlichen Dingen. Die Mönche im Kloster besitzen deshalb nur wenig und leben enthaltsam – das bedeutet beispielsweise, dass sie keine aktive Sexualität leben und zu «neuen» Technologien wie Internet und Smartphone nur einen restriktiven Zugang haben. Vor ihrem Eintritt in den Mönchsorden geben sie zudem all ihre materiellen Besitztümer und Ersparnisse ab.

Alles ist vergänglich

Einer dieser Mönche ist der Portugiese Ajahn Kancano. Ein Ajahn ist ein buddhistischer Lehrer, der seit mehr als zehn Jahren als Mönch lebt. Der Verzicht sei zu Beginn nicht einfach gewesen, sagt Ajahn Kancano, der vor seinem Mönchsleben beim Kleiderproduzenten Helly Hansen und als Reiseführer bei der St. Paul’s Cathedral in London gearbeitet hat. «Aber plötzlich wird einem bewusst, wie vergänglich alles ist, was einem zuvor als bedeutsam erschien», so Ajahn Kancano. Sich um soziale Anerkennung bemühen, Status, Geld, Karriere – all das sei im Grunde flüchtig und leer. Er sei Mönch geworden, weil er immer das Gefühl gehabt habe, dass es da noch mehr geben müsse.

Ajahn Khemasiri, der das Kloster Dhammapala als Abt leitet und nach aussen repräsentiert und seit über dreissig Jahren als buddhistischer Mönch lebt, erklärt, dass es auch darum gehe, sich von dem Bedürfnis zu lösen, sich alles zu eigen zu machen. Denn das beinhalte die Erkenntnis, dass «die engen Grenzen des selbst gestrickten Egos» überwunden werden könnten. Letztendlich gehe es in der buddhistischen Praxis auch darum, sich selbst – oder das, was man darunter verstehe – weniger wichtig zu nehmen.

In der Regel halten sich im Kloster Dhammapala in Kandersteg neben den Mönchen sechs Gäste auf, darunter auch Frauen. An diesem Tag sind es fünf. Unter ihnen Andreas und Thomas, die ihre vollen Namen aus persönlichen Gründen nicht in der Zeitung lesen möchten. Andreas ist Buchhändler und seit drei Tagen im Kloster. Er befasst sich schon länger mit Meditation und Achtsamkeitsübungen. Thomas ist im Kloster, weil er Mönch werden will. «Der Verzicht auf bestimmte Dinge ermöglicht es dir, deinen inneren Frieden zu finden», sagt er.

Theravada-Buddhismus

Buddhismus ist die viertgrösste Weltreligion und hat je nach Kulturkreis eine andere Ausprägung. Die Mönche in Kandersteg folgen der Lehre des Theravada-Buddhismus (Theravada = Lehre der Älteren) – der eine der ältesten und ursprünglichsten Formen der buddhistischen Lehre darstellt und vor allem in Thailand, Sri Lanka, Myanmar, Laos und Kambodscha präsent ist. Die Mönche sind die Vermittler der Lehre Buddhas und haben deshalb innerhalb der Religionsgemeinschaft eine grosse Bedeutung. Das Leben in Kloster ist für die Mönche strengen Regeln unterworfen. Sie dürfen etwa nur dann essen, wenn es ihnen angeboten wird, der Besitz von Geld ist untersagt.

Zu Essen gibt es, was gespendet wird.

Viel Symphatie in Kandersteg

Die buddhistischen Mönche fallen mit ihren kahl geschorenen Köpfen und ihren ockerfarbenen Gewändern auf. Wie passt das zum Feriendorf Kandersteg, wo der SVP-Wähleranteil bei fast 50  Prozent liegt? Man habe nur gute Erfahrungen gemacht, heisst es im Kloster. So sagt Ajahn Kancano, dass sich die Kandersteger immer freundlich und eher neugierig als feindselig verhielten. Das bestätigt Ajahn Khemasiri. «Wir sind hilfsbereit und man kann mit uns reden. Wir sehen nur ein bisschen seltsam aus», sagt er. Das hätten die meisten, die hier lebten, gemerkt.

Das Wohlwollen scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. So sagt der parteilose Kandersteger Gemeindepräsident Urs Weibel, dass die Mönche des Klosters Dhammapala zwar «auffällig gekleidet» seien, aber sonst in Kandersteg nicht auffallen würden. Das Kloster sei für ihn «ein Mosaiksteinchen, das zu Kandersteg gehört». Er ergänzt: «Die Mönche verhalten sich vorbildlich.» Sie würden das Haus gut instandhalten, das man andernfalls wohl hätte abreissen müssen. Und die Geschäftsführerin von Kandersteg Tourismus, Doris Wandfluh, sagt, dass Touristen «positiv überrascht» seien, wenn sie ihnen erzähle, dass es in Kandersteg ein buddhistisches Kloster gebe.

Positiv zum Kloster Dhammapala und seinen Bewohnern äussert sich auch Peter Gutknecht, Pfarrer in der Kirchgemeinde Kandersteg. «Wenn Sie nur fünf Minuten mit einem der Mönche sprechen, ist das eine grosse menschliche und religiöse Bereicherung», sagt er. Er schätze es zudem, dass die buddhistischen Mönche in keiner Art und Weise zu missionieren versuchten – ein Aspekt, welcher dem Buddhismus inhärent ist: Die Mönche dürfen nur über den Buddhismus sprechen, wenn sie explizit danach gefragt werden.

Die «kleine Spende»

Das Kloster Dhammapala finanziert sich ausschliesslich über Spenden. Zu den wichtigsten Unterstützern des Klosters gehört die thailändische Diaspora in der Schweiz. Einmal, so erzählt der kanadische Mönch Ajahn Thiradhammo, der zu den Gründungsmitgliedern der Kandersteger Kloster-Niederlassung gehört, sei die Schwester des damaligen thailändischen Königs im Kloster vorbeigekommen. Sie habe einen Umschlag mit einer «kleinen Spende» dort gelassen – die sich auf einen Betrag von 50'000 Franken belaufen habe.

Die Abhängigkeit von Spenden ist für das Mönchsleben von Bedeutung. Wie Ajahn Kancano erklärt, müsse man sich der Unterstützung als würdig erweisen, wenn man auf die Freundlichkeit und Grosszügigkeit anderer angewiesen sei. Dazu gehörten das Teilen und die Offenheit gegenüber allen, die kommen wollen – sei es aus Neugier, sei es aus spirituellem Interesse. Ein Gedanke, der auch im Kloster Dhammapala praktiziert werde.

Text: Julia Richter
Bilder: Adrian Moser
Umsetzung: Gianna Blum

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