Der Kampf um mehr Schulraum

Zwischen Platznot und Provisorien: Unterwegs in der Schosshalde.

Die steigenden Schülerzahlen haben die Stadt auf dem falschen Fuss erwischt. Das Provisorium im Wyssloch wurde in drei Tagen errichtet

Ideales Umfeld für die Kinder: Das provisorische Schulhaus steht neben dem neuen Pumptrack.

Das war knapp: Kurz vor Schulbeginn haben Bauarbeiter in der Schosshalde in nur drei Tagen vorfabrizierte Elemente zu einem Schulgebäude montiert. Letzten August konnten die Kinder bei der Entstehung des Provisoriums im Wyssloch «live» dabei sein. «Das war eine Glanzleistung der Planer, aber auch der Lehrkräfte», sagt Vanessa Käser vom Aktionskomitee pro Basis, das den Dialog für eine «vorausschauende Schulraumplanung» vorantreiben möchte. Die Lehrerinnen und Lehrer mussten ohne bestehendes Schulgebäude ihren Unterricht vorbereiten.


Flexibilität wird von Pädagogen und Kindern auch im Alltag verlangt: Die Schüler des Provisoriums müssen für den Turnunterricht ins Schulhaus Sonnenhof und fürs Werken und die Tagesschule in die Laubegg. Die jüngeren unter ihnen müssen von den Lehrern begleitet werden. «Diese Zerstückelung ist anspruchsvoll», sagt Käser. Familien mit mehreren kleinen Kindern werde beim Bringen und Abholen eine logistische Meisterleistung abverlangt.


Zudem würden in der Tagesschule Laubegg in Spitzenzeiten bis zu 100 Kinder verpflegt. «In drei Jahren wird sie aus allen Nähten platzen, wenn die Tagesschule im Bauernhaus Wyssloch nicht gebaut wird.» Die Stadt habe ambitiöse Wachstumsziele. Die Schülerzahlen würden weiter ansteigen. «Die Planung von Schulraum sollte bei jedem Wohnbauprojekt zwingend sein», sagt Käser.

«In drei Jahren wird die Tagesschule Laubegg aus allen Nähten platzen.» – Vanessa Käser

Das Provisorium wurde aus vorfabrizierten Bauteilen montiert.

Es wurde gerade noch rechtzeitig fertig.

In nur drei Tagen montierten die Bauarbeiter die Fertig-Elemente.

Die Tagesschule im Bauernhaus Wyssloch läge nur wenige Schritte vom provisorischen Schulgebäude entfernt. In der Nähe des Bauernhauses soll dereinst das definitive Schulgebäude entstehen. Dessen Standort ist aber noch nicht klar. Der Gemeinderat wird ihn nach Angaben von Hochbau Stadt Bern (HSB) im ersten Quartal 2017 kommunizieren.


Ihre Umfrage zeigt: Ganztagesschulen sind ein Anliegen: Vanessa Käser und Corinne Reber von Pro Basis.

Im Bauernhaus würde Pro Basis am liebsten eine Ganztagesschule einrichten. In einer Online-Umfrage des Komitees im Quartier unterstützten 80 Prozent der befragten Eltern mit schulpflichtigen Kindern dieses Anliegen. Im Frühjahr gab Bildungsdirektorin Franziska Teuscher (GB) bekannt, dass die Stadt ein Pilotprojekt plane. In Ganztagesschulen besuchen die Kinder fünf Tage in der Woche die Schule und bleiben über Mittag und bis am späten Nachmittag in der Klasse zusammen.

In einer Umfrage waren 80 Prozent für eine Ganztagesschule.

Das Bauernhaus im Wyssloch.

Hier stellen sich Vanessa Käser und Corinne Reber eine Ganztagesschule vor.

Der Ort wäre ideal gelegen, finden die Vertreterinnen von ProBasis.


Warum ist das Wyssloch der richtige Ort für eine Ganztagesschule? Vanessa Käser und Corinne Reber vom Elternkomitee Pro Basis.

Teuscher spricht von einem «Zukunftsmodell» für die Stadt Bern. In den zur Zeit üblichen Tagesschulen hingegen buchen die Eltern bloss einzelne Zeitmodule pro Woche. Die Zusammensetzung der Gruppen ändert konstant. «Tagesschulen sollten mehr sein als Aufbewahrungsstätten. Sie haben auch einen Bildungsauftrag», sagt Käsers Kollegin Corinne Reber. Die räumlichen und personellen Ressourcen seien aber beschränkt. Daher brauche es Ganztagesschulen. Im Grüngürtel Wyssloch seien die Voraussetzungen dafür ideal, sagt Reber.

Die Ressourcen für Ganztagesschulen sind beschränkt.

Im Schulamt stösst Pro Basis grundsätzlich auf offene Ohren. Die Bestellung von zusätzlichem Tagesschulraum für die Laubegg liege «seit geraumer Zeit» vor, sagt Leiterin Irene Hänsenberger. Zur Behebung der Platznot in der Tagesschule würden zur Zeit «Lösungen im Schulhaus» gesucht. Aus fachlicher und politischer Sicht sei es «sehr gut vorstellbar», die neue Tagesschule Wyssloch von Anfang an als Ganztagesschule zu konzipieren. Mittlerweile prüfe das Schulamt eine Erweiterung des Pilotversuchs auf mehr als einen Standort. Welche Standorte infrage kämen, könne noch nicht kommuniziert werden, sagt Hänsenberger.

Die zunehmende Anzahl von Familien in der Stadt sei letztlich ein Erfolg der Politik von Rot-Grün-Mitte (RGM), sagt Käser. Daher sei es für sie nur schwer nachvollziehbar, dass die Stadt von den steigenden Schülerzahlen überrascht wurde. Nun müssten die Rückstände aufgeholt werden. «Eine prospektive Planung wird man wohl erst in zehn Jahren starten können», sagt Käser.

«Wir müssten elfmal den Bundesplatz mit Schulhäusern bebauen»

Die Empörung über die Mängel bei der Schulraumplanung war gross. Die Planung wurde neu aufgegleist.



Stadtrat Michael Steiner (GFL) nahm kein Blatt vor den Mund: «Die Schulraumplanung ist eine chaotische Angelegenheit», sagte er zu Beginn dieses Jahres im Stadtrat. Damals ging es um einen Kredit von 4,2 Millionen Franken für das Provisorium im Wyssloch.

Im Vorjahr mussten bereits im Marzili und beim Schulhaus Munzinger pavillonartige Bauten aus Fertigelementen als provisorische Schulräume errichtet werden. Zwei Monate nach Steiners Schelte hat die Bildungsdirektion von Franziska Teuscher (GB) Zahlen zum Sanierungs- und Ausbaubedarf bei Schulgebäuden präsentiert: Bis 2024 müssen 35 Schulbauprojekte für rund 500 Millionen Franken realisiert werden. «Wir müssten theoretisch elfmal den Bundesplatz mit
Schulhäusern und Turnhallen bebauen», sagte Teuscher.

Zürcher Planer beauftragt

Da die Stadt nicht über derart grosse Flächen verfügt, hat der Gemeinderat das Zürcher Planungsbüro Basler & Hofmann beauftragt, das Potenzial aller Schulanlagen zu analysieren. Das Büro hatte seine «Meisterprüfung» zuvor im Stadtteil Breitenrain-Lorraine abgelegt. Dabei kamen die Experten zum Schluss, dass wegen einer «überdurchschnittlich hohen Geburtenrate» zusätzlicher Schulraum nötig ist. Daraufhin musste das planungsfertige Bauprojekt zur Erweiterung der Schule Spitalacker neu aufgegleist werden.

Eltern zur Suche aufgerufen

Bis die neuen Schulhäuser alle gebaut sind, müssen Provisorien erstellt und zusätzliche Räume gemietet werden. Für Proteste hat dabei etwa die Einmietung eines Kindergartens in ein ehemaliges Restaurant nahe einer Tankstelle gesorgt. Der sogenannte «Tankstellenkindergarten» in der Schosshalde hat zur Gründung des Elternkomitees pro Basis beigetragen.

Im Stadtteil Mattenhof-Weissenbühl wiederum wurden die Eltern dazu aufgefordert, Räume zu melden, die sich für schulische Zwecke eignen könnten. Die Zustände in der Schulraumplanung stiessen in fast allen politischen Lagern auf Kritik. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass die Bildungsdirektion den starken Anstieg der Schülerzahlen ab 2010 (siehe Grafik) nicht vorausgesehen hatte. In Erfüllung eines SP-Vorstosses wurde Mitte 2015 die Stelle eines Schulraumplaners geschaffen. Die Grundlagen für dessen Arbeit sind die Prognosen der Statistikdienste.



«Jedes Quartier hat seine Eigenheiten», sagt Schulraumplaner Michael Haldemann. So habe es etwa im Spitalacker einen Anstieg der Kinderzahlen gegeben, obwohl es dort kaum Bautätigkeit gebe. Entgegen dem langjährigen Trend seien Familien in der Stadt nun bereit, eine Reduktion der Wohnfläche pro Person hinzunehmen. «Wie sich Familien künftig verhalten werden, ist schwierig vorauszusehen», sagt Haldemann.

Text: Bernhard Ott
Bilder: Adrian Moser
Umsetzung: Christian Zellweger

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