Auf der Suche nach dem richtigen Leben im falschen Haus

Berns Hausbesetzer machen Schlagzeilen mit Gewaltausbrüchen.

Hinter den bemalten Fassaden wohnen junge Menschen mit Idealen und Widersprüchen.

Sie versuchen, sich von der Masse abzugrenzen, und wollen doch nichts sehnlicher, als im Quartier willkommen geheissen zu werden.

Die Räumung der Effingerstrasse-Besetzung

Der Traum ist aus. Das Haus geräumt, die Besetzerinnen und Besetzer abgeführt. Zuvor wehrten sie sich an der Berner Effingerstrasse 29 stundenlang unter Einsatz von Gewalt gegen den Eingriff der Staatsmacht. Warum tun sie das? Warum mieten sie nicht einfach eine Wohnung? Und wer sind sie überhaupt?

Besetzte Häuser in der Stadt Bern

«Wir besetzen aus einer Notwendigkeit heraus», sagt einer der Bewohner, den der «Bund» ein paar Tage vor der Räumung getroffen hatte. In der «Effy» wohnten Künstler, Familien mit Kleinkindern und Teilzeitarbeitende – alles Leute, die sich die «horrenden Mieten» in der Stadt Bern nicht leisten könnten. Der junge Mann stellt sich als Simon vor und kommt aus einer gut behüteten, linken Mittelstandsfamilie. Flankiert wird er von zwei Frauen, Luisa und Mila.

Barrikaden an der Effingerstrasse 29

Bis zu 40 Personen wohnten in diesem Haus

Mittlerweile wurde es geräumt

Räumung Effingerstrasse

Nicht nur günstiger Wohnraum

Ein freiwilliger Rückzug – das machen die drei schon beim Treffen klar – stand nie zur Debatte. Es gehe ihnen auch nicht nur um das günstige Wohnen, ergänzt Luisa. Sie will die Besetzung auch als Akt des zivilen Ungehorsams gegen die herrschenden Eigentumsverhältnisse verstanden wissen. «Einige wenige besitzen zahlreiche Häuser, und die grosse Mehrheit muss sich zu Tode schuften, um sich eine lausige Mietwohnung leisten zu können.»

Doch viele Hauseigentümer hätten nur den Profit statt die Bedürfnisse der Menschen im Kopf. «Gerade der Bund müsste doch mit gutem Beispiel vorangehen und nicht noch ein weiteres unnützes Bürogebäude betreiben.» Selber hatten sie grosse Pläne mit dem Haus. Neben Wohnraum für bis zu 40 Personen hätte das Haus auch Platz für allerlei Projekte geboten, sagen sie. Es war etwa geplant, Ateliers und Werkstätten einzurichten, welche auch der restlichen Bevölkerung offengestanden wären.

Stadt will keine leere Wohnungen

Hausbesetzer sind im Aufwind. Die Stadt Bern verfügt zwar über keine genauen Zahlen, hat aber den Eindruck, «dass die Hausbesetzerszene in den letzten Monaten aktiver ist als auch schon», wie Dagmar Boss von Immobilien Stadt Bern gegenüber dem «Bund» sagt.

Weil man in der rot-grünen Bundesstadt Verständnis für die Anliegen von Hausbesetzern hat, wurde die Koordinationsstelle Zwischennutzungen ins Leben gerufen. Diese soll Leerstände möglichst verhindern und findet auch beim Hauseigentümerverband Anklang. «Es ist jedenfalls besser, als wenn man sich von Hausbesetzern erpressen lässt», sagt Adrian Haas, FDP-Grossrat und Präsident des Hauseigentümerverbands Bern und Umgebung.

«Erpressen lassen» wollte sich auch der Eigentümer der Liegenschaft an der Effingerstrasse nicht: Der Abschluss eines Zwischennutzungsvertrags kam für das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) nicht infrage.

Anders war die Situation in Ostermundigen. Nachdem die Gruppe mit dem etwas kurligen Namen «Familie Osterhase» das Gebäude an der Bernstrasse 29 besetzt hatte, konnte sie mit der HRS Real Estate AG, welcher das Haus gehört, einen Zwischennutzungsvertrag abschliessen. Ganz geheuer fühlt es sich trotzdem nicht an, wenn man dort vor dem farbig bemalten Haus beim Bahnhof Ostermundigen steht. Denn die autonome Szene und Hausbesetzer im Speziellen gelten als ausgesprochen medienscheu.

Immerhin, die Klingel funktioniert. Eine junge Frau öffnet die Türe. Im mit Graffiti versprühten Eingangsbereich steht ein ausrangierter Bildschirm, daneben liegt die jüngste Ausgabe der linken Wochenzeitung WOZ. Doch bereits im Wohnzimmer ist es weniger chaotisch als im Eingangsbereich. Es ist hell, ein Büchergestell und Fotos an den Wänden sorgen für eine Atmosphäre, die man auch in gewöhnlichen Wohngemeinschaften antrifft.

Alles halb so wild, eigentlich, wären da nicht gleich neun «Familienmitglieder», die das Gespräch gemeinsam führen wollen. Sie mögen es nicht, wenn Einzelpersonen für das Kollektiv sprächen, sagt einer. «Nur, weil wir alle in einem besetzten Haus wohnen, denken wir nicht alle gleich.»

Verachtung und Liebe

Doch was treibt sie zu diesem Leben im Randbereich des Legalen? «Es ist der Versuch, in einer Welt voller Konkurrenzdenken, Profitstreben und Vereinzelung eine Nische zu schaffen, in der es sich anständig leben lässt», sagt jemand. Das mietfreie Wohnen erlaube, möglichst wenig Zeit mit «entfremdeter Lohnarbeit» zu verbringen und die Energie dafür in gemeinschaftliche Projekte zu stecken.

Dafür verzichteten sie auch gerne auf Annehmlichkeiten, welche eine Vollzeitbeschäftigung mit sich brächte, sagen sie. Statt teure Designerkleider zu kaufen, bedienen sie sich im hauseigenen Gratisladen. Statt eines Entrecotes essen sie ausrangiertes Biogemüse, das in ihrem Keller lagert. Und den Ausgang verbringen sie ohnehin grösstenteils im hauseigenen Partyraum mit dem Jugendtreff-Ambiente, wo alle gratis arbeiten und die Gäste für Eintritt und Getränke so viel bezahlen können, wie sie möchten.

Es ist ein Lebensstil, der – bei allen Unterschieden – von den meisten Hausbesetzern angestrebt wird: Die Ausgaben möglichst klein halten, um Zeit für gemeinsame Aktivitäten zu haben. So finden sich in vielen besetzten Häuser selbst gemachte Möbel, und das Essen wird auch mal aus Abfallcontainern der Grossverteiler besorgt. Ganz ohne Arbeit kommen sie dann trotzdem nicht aus. Die Besetzer gehen Gelegenheitsjobs nach, arbeiten im Sozial- und Gesundheitsbereich oder studieren.

Für die Hausbesetzer selber geht es aber um mehr als um ein angenehmes Leben für sich selber. Das Hausbesetzen ist Teil eines politischen Kampfes. Ein ausformuliertes Programm haben sie nicht – und wollen sie auch nicht haben. Ihr Ausgangspunkt ist eine Sehnsucht nach einer Welt ohne Grenzen, ohne einschränkende Normen, ohne Staat, ohne Ausbeutung, in der auch Tiere als gleichwertige Wesen angeschaut werden.

Mühe haben die Besetzerinnen und Besetzer, ihr Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft zu klären. So beschreiben sie Vollerwerbstätige häufig als homogene Masse, die mit «leeren Gesichtern» täglich zur Arbeit fahre und die Dumpfheit ihres «auf Status ausgerichteten Lebens» nicht erkenne. Um dann, meistens nur wenige Sätze später, die Menschen als ausgesprochen solidarisch zu glorifizieren und sich nichts sehnlicher als einen verstärkten Austausch mit anderer Generationen und Milieus zu wünschen.

Meistens gehen Besetzer freiwillig

Der Hauseigentümerverband rät seinen Mitgliedern, bei Leerstand eine legale Zwischennutzung anzustreben. Die Stadt hat dafür eine Raumbörse geschaffen.
Die Marti AG hat alles versucht, um ihre leere Liegenschaft an der Freiburgstrasse 131 vor Hausbesetzungen zu schützen: Die Fenster waren eingeschalt, die Türe mit einer Metallplatte verriegelt.

Es hat alles nichts genützt. Im letzten März drangen bereits zum dritten mal Hausbesetzer ins Gebäude ein – und machten auch keine Anstalten, dieses wieder zu verlassen. Das Beispiel zeigt, Besetzungen leerer Liegenschaften zu verhindern, ist schwierig.

Doch was sollen Hausbesitzer tun, wenn sie sich nicht mit Besetzern herumschlagen möchten? «Die beste Art, eine ungewollte Besetzung zu verhindern, ist das rechtzeitige Suchen nach einer gewollten Zwischennutzung», sagt Dagmar Boss von Immobilien Stadt Bern (ISB) auf Anfrage. Die Stadt hat zu diesem Zweck eine Raumbörse ins Leben gerufen. Bei temporärem Leerstand können Hauseigentümer ihre Immobilien dort zu günstigen Konditionen anbieten. «Unter Umständen können Zwischennutzungen Arbeitsplätze sichern und eine Chance für ein Quartier darstellen», sagt Boss.

Adrian Haas (FDP), Grossrat und Präsident des Hauseigentümerverbands Bern und Umgebung, hält das für eine gute Idee: «Eine seriöse Zwischennutzung ist sicher besser als eine Besetzung.» Haas rät seinen Mitgliedern, bei absehbarem Leerstand Kontakt mit der Stadt aufzunehmen. «Von unseren Mitgliedern bekommen wir aber kaum Anfragen wegen Hausbesetzungen.»

Zwangsräumungen sind selten

Die städtische Koordinationsstelle versucht aber nicht nur, Besetzungen zu verhindern, sie vermittelt auch, wenn es trotzdem zu einer Besetzung kommt. Dieses Angebot scheint bisher bei privaten Liegenschaftsbesitzern nicht auf grosses Interesse zu stossen. «In jüngerer Vergangenheit wurden keine Vermittlungen bezüglich privaten Liegenschaften benötigt», sagt ISB-Sprecherin Boss. Automatisch aktiv wird die Koordinationsstelle, wenn städtische Liegenschaften besetzt werden. Zumindest in letzter Zeit habe man immer eine Lösung gefunden, sagt Boss dazu.

Vermittelt hat die Koordinationsstelle etwa bei der Besetzung eines Gebäudes am Schwyzerstärnweg. Die Mieterin der Liegenschaft, eine Gärtnerei, habe sich aber mit der Besetzung nicht einverstanden gezeigt, so Boss. ISB habe den Besetzern eine eintägige Frist zur freiwilligen Räumung ohne Anzeige gegeben, welche diese auch befolgten, so Boss.

Doch was tun, wenn die Besetzer – wie etwa wie bei der Effingerstrasse geschehen – das Feld nicht freiwillig räumen? «In einem solchen Fall ist eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und eventuell Sachbeschädigung zu machen und anschliessend eine polizeiliche Räumung zu beantragen», sagt Boss. Sie räumt aber ein, dass dies eher selten vorkomme. Die Erfahrung zeige, dass die in Zwischennutzungsverträgen beidseitig vereinbarten Punkte in der Regel gut eingehalten würden. «Dies gilt auch hinsichtlich der Fristen zum Verlassen von zwischengenutzten Gebäuden.» (chl)

Osterhasen in Ostermundigen

Freundlich und kultiviert

Trotzdem, der Eindruck, den man bei den Treffen von den Besetzern erhält, lässt sich schwer mit der Destruktivität vereinbaren, welche man der Besetzerszene spätestens seit der Effy-Räumung und der anschliessenden Demonstration zuschreibt. So entpuppen sie sich allesamt als ausgesprochen freundliche und kultivierte Gesprächspartner. Sie bieten Kaffee an, lassen einander ausreden und benutzen Floskeln wie: «Wenn es dir recht ist, würde ich gerne noch auf die vorherige Frage eingehen.»

Und sie wissen ihre Zeit zu nutzen, wie sich etwa bei der Familie Osterhase zeigt: Die Besetzerinnen und Besetzer haben einen Gratisladen, einen Partyraum, ein Atelier, eine Werkstatt, ein Fotolabor und ein Kino eingerichtet – und stellen alles Aussenstehenden unentgeltlich zur Verfügung.

Die Osterhasen haben einen Vertrag mit dem Hausbesitzer abgeschlossen

Fast wie eine gewöhnliche WG: Das Wohnzimmer der Osterhasen

Für Unterhaltung sorgen die Osterhasen selbst...

...etwa mit einem Kino

Die Ästhetik schreckt ab

Auch wegen solcher Angebote geniessen Hausbesetzer im linken Bern Sympathien. Von der Besetzer-Ästhetik mit den Transparenten, den revolutionären Parolen und den Sprayereien fühlen sich aber auch den Besetzern positiv gesinnte Leute abgeschreckt. Die meisten Besucher besetzter Häuser gehören denn auch selber zur linksalternativen Szene.

In den verschiedenen Häusern wird das durchaus kontrovers diskutiert. Am meisten Wert auf Offenheit scheint man im Café Toujours, dem besetzten Haus an der Freiburgstrasse 131, zu legen. Bei einem Treffen in ihrer behelfsmässig eingerichteten Stube erklären sie, dass sie das Gebäude besetzten, «um auf den Leerstand und die herrschenden Eigentumsverhältnisse hinzuweisen».

Im Verlauf des Gesprächs berichten sie aber auch ziemlich ungeschminkt von ihren bisherigen Erfahrungen. «Ich hatte gedacht, dass im Quartier eine grössere Dynamik entsteht», sagt etwa ein junger Mann, der Saïd genannt werden will, aber keine arabischen Wurzeln hat.

Vor allem habe er sich erhofft, dass sich Quartierbewohner mehr für das Haus interessierten. Gleichwohl, er habe dafür schon Verständnis. «Ich verbringe meine Zeit auch nicht im hiesigen Quartiertreff, weil ich keinen Bezug zu dem Ort und den Leuten habe.»

Austausch habe es aber schon gegeben, wirft eine der beiden anwesenden Bewohnerinnen im Café Toujours ein. Der Quartierverein habe sie etwa eingeladen, am Quartierfest einen Stand zu betreiben. Die Besetzerinnen und Besetzer haben die Gelegenheit genutzt und eine «tolle Show» abgeliefert, wie sie sagen. «Wir haben Flugblätter verteilt, Chai ausgeschenkt und Massagen angeboten.»

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Café Toujours betonen, dass sie sich auch im Haus über Gäste freuen. «Es kommt sogar regelmässig vor, dass wir Gäste ohne Bleibe bei uns wohnen lassen.»

Hin und wieder hätten sich zudem Leute ins Haus verirrt, die dachten, es handle sich um einen regulären Gastronomiebetrieb. «Wir schenken ihnen jeweils einen Kaffee aus – schliesslich haben wir den Namen Café Toujours bewusst gewählt, um möglichst niederschwellig zu sein.»

Die Sache mit der Gewalt

Abgeschreckt fühlen sich die Leute aber nicht nur wegen der teils ausladenden Ästhetik: Für gewalttätige Aktionen äussern selbst Linke wenig Verständnis. Anders die Besetzer. Die Bewohner sämtlicher Häuser wollen sich nicht von gewalttätigem Aktivismus distanzieren.

Das bedeute aber nicht, dass man Gewalt und Sachbeschädigung gutheisse, sagen Mitglieder der Familie Osterhase. Gewalt und Sachbeschädigungen seien in der Regel «nicht zielführend» und entsprängen eher einem Ohnmachtsgefühl. «Man kann wohl niemand mit Gewalt zum Nachdenken bringen.»

Die Osterhasen betonen aber auch, dass Gewalt «viele Gesichter» habe. «Nicht alle Gewalt wird von der Öffentlichkeit gleich verurteilt.» Sie verweisen dabei auf «strukturelle Gewalt» gegen Migranten, aber auch auf Polizeigewalt, die sie selber erlebt hätten. So fanden in ihrem Haus zweimal Polizeirazzien mit Beteiligung der Sondereinheit Enzian statt. Dabei wurden den Bewohnern Fesseln und Augenbinden angelegt und auch Mobiliar zerstört, wie sie sagen. Das eingeleitete Verfahren gegen die beteiligten Polizisten ist noch am Laufen.

Autonome Schule «denk:mal»: Deutschkurse statt Transparente

Transparente sucht man am Lagerweg 12 im Berner Lorrainequartier vergebens. Und auch sonst steht die autonome Schule denk:mal, die vor mehr als zehn Jahren gegründet wurde, etwas quer in der hiesigen Besetzerlandschaft. Anders als bei den restlichen besetzten Häusern steht nicht
das Wohnen, sondern stehen Kurse im Vordergrund.

Zurzeit finden sich auf dem «Stundenplan» etwa Boxen, zahlreiche Sprachkurse, Yoga und ein Computerkurs. Am publikumswirksamsten sind aber
die Deutschkurse für Fremdsprachige. Täglich finden bis zu sechs Kurse in verschiedenen Schwierigkeitsstufen statt. Mehrere Hundert Fremdsprachige nutzen das Gratisangebot jede Woche. Die Hausbesetzer sind deshalb der Meinung, dass ihr Projekt den Integrationspreis der Stadt Bern verdienen würde – und bewerben sich jedes Jahr um die Auszeichnung. Bisher allerdings ohne Erfolg.

Wie sich zeigt, unterscheiden sich auch die Aktivisten von denk:mal ein wenig von anderen Hausbesetzern. Elias und Raphael, welche sich zu einem Gespräch bereit erklärt hatten, sind beide schon Mitte 30. Elias ist Sozialarbeiter und Raphael arbeitet als Webentwickler. Als Elias als Deutschlehrer dazugestossen ist, befand sich denk:mal schon am heutigen Standort. Raphael hingegen war bei der Besetzung des Hauses am Lagerweg dabei. Bei der Besetzung eines Wohnhauses hätte er wohl nicht mitgeholfen, sagt er. «Ich finde das zwar auch legitim, aber mir persönlich wäre das Besetzerleben wohl zu anstrengend.»

Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung sind sich die denk:mal-Aktivisten in vielen Themen mit den übrigen Hausbesetzern einig. Das wird etwa deutlich, wenn sie über ihre Überzeugungen sprechen. So beschreiben sie das Projekt als Plattform, die für «selbstbestimmtes und hierarchiefreies» Lehren und Lernen genutzt werden kann, sagt Elias. «Idealerweise begegnen sich Unterrichtende und Lernende auf Augenhöhe.» Denk:mal sei ein offenes Haus für den gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und Ideen und für die Verwirklichung von gemeinsamen Projekten. (chl)

«Denk:Mal» in der Lorraine

«Wir wollen möglichst niederschwellig sein » – Café Toujours

Bewohner sämtlicher Häuser wollen sich nicht von jeglicher Form der Gewalt distanzieren

Gewalt sei aber in der Regel nicht zielführend

Sie verweisen aber auch auf «strukurelle Gewalt» gegenüber Migranten oder gegen sich selbst

Keine Wut auf alle Polizisten

Hat sie die Repressionserfahrung radikalisiert? «Wir waren schon vorher der Polizei gegenüber kritisch eingestellt», sagen sie. Das heisse aber nicht, dass sich ihre Wut gegen alle Polizisten richte. So habe es bei den Razzien zwar Polizisten gegeben, die es genossen hätten, sie zu demütigen. «Es gab aber auch eine Polizistin mit Tränen in den Augen.»



Die Pläne der Hauseigentümer


Eigentlich rechneten die Besetzer des Café Toujours mit einer umgehenden Räumung, als sie sich im März letzten Jahres im Gebäude an der Freiburgstrasse 131 einnisteten. Offenbar konnten die jetzigen Bewohner aber bei Daniel Bichsel, der bei der Marti AG für die Liegenschaft zuständig ist, Vertrauen gewinnen. Sie haben zwar keinen Zwischennutzungsvertrag, werden aber toleriert. Der Leerstand stört auch Bichsel. Das Problem aber sei, führt er aus, dass das Gebäude eigentlich in diesem Zustand nicht bewohnbar sei. «Wir müssten eine halbe Million investieren», sagt er. Da die Firma mit dem Grundstück andere Pläne habe, würde das aber keinen Sinn ergeben. Was das genau für Pläne sind, darüber will Bichsel noch keine Auskunft geben. «Allzu schnell dürften sich diese ohnehin nicht realisieren lassen.» So räumt Bichsel ein, dass vielleicht noch ein Wettbewerb durchgeführt werden müsse. Dennoch, das Ende des Café Toujours naht. «Das Abrissgesuch ist eingereicht, wir warten nur noch auf die Bewilligung», sagt Bichsel.

Osterhasen können bleiben

Komfortabler stellt sich die Situation für die Familie Osterhase dar. Das Haus an der Bernstrasse 29 in Ostermundigen gehört der HRS Real Estate AG, die die Liegenschaft 2014 «frei von Mietverhältnissen» erworben hatte, wie Michael Breitenmoser, Leiter Immobilienentwicklung bei HRS, auf Anfrage ausführt. Die HRS will das Gebäude abreissen und auf dem Grundstück das Neubauprojekt «Poststrasse Süd» realisieren. «Wir hoffen, in diesem Frühjahr die Überbauungsordnung öffentlich aufzulegen.» Anschliessend werde mit der Bauprojektplanung begonnen. Der Abriss soll erst erfolgen, wenn die planungsrechtlichen Grundlagen rechtskräftig sind. Solange darf die Familie Osterhase bleiben. Wie eine HRS-Sprecherin gegenüber der «Berner Zeitung» sagte, hätte das Unternehmen ein «entspanntes Verhältnis» mit der Familie Osterhase. «Abmachungen werden, soweit wir dies aus der Ferne beurteilen können, eingehalten.»

Völlig offen ist die Situation bei der autonomen Schule denk:mal. Die Liegenschaft am Lagerweg 12 im Berner Lorrainequartier gehört der FSZ Immobilien AG mit Sitz im Kanton Nidwalden. Bevor die Aktivisten im April 2013 das Haus besetzten, befand sich darin ein Bordell. Die FSZ hatte Pläne für eine umfassende Sanierung und Erweiterung, welche aber nicht bewilligungsfähig waren. Seither ist unklar, wie es mit dem Gebäude weitergeht. Der Anwalt der FSZ war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Text: Fabian Christl
Bilder: Franziska Rothenbühler
Umsetzung: Christian Zellweger

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