Auf dem Acker

Im Seeland sind jeden Tag Hunderte von meist ausländischen Erntehelfern im Einsatz. Zu Besuch bei Stanislaw Gola und seinen Kollegen, die in der Schweiz arbeiten, um in Polen zu leben.

Kaum hat man die Halle betreten, beginnen einem die Augen zu brennen. Im ersten Moment ist nicht offensichtlich, weshalb. In einer Ecke steht eine lange Maschine, die den Raum mit einem gleichförmigen Rumpeln erfüllt. Auf der Maschine stehen mehrere Männer an einem Förderband. Beim näheren Hinsehen wird klar, was die Augen reizt: Hier werden Zwiebeln sortiert.

Es ist 6.30 Uhr an einem der Tage, an denen sich der Sommer verabschiedet hat. Lorenz Gutknecht ist seit 5.50 Uhr wach und seit 6 Uhr an der Arbeit. Frühstück, sagt er, braucht er nicht. Gutknecht ist der Chef der Arbeiter, die dabei sind, die Zwiebeln zu sortieren. Er beschäftigt fast 20 Mitarbeiter und bewirtschaftet rund 70 Hektaren Land in der Umgebung von Ins. Bald verlässt er die Halle. Eingreifen sieht man ihn heute kaum – seine Leute wissen, was zu tun ist.

Die Männer am Zwiebelförderband kommen aus Polen und sind wie ihre Kollegen ganzjährig bei Gutknecht angestellt. Einer von ihnen, Stanislaw Gola, spricht ein bisschen Deutsch. Warum man heute hier sei, will er wissen. Als man es ihm erklärt, nickt er. Viel mehr Konversation ist nicht möglich. Er könne nicht so gut Deutsch, sagt er, als man weitere Fragen stellt. Zwischendurch holt Gola den Gabelstapler, um eine volle Zwiebelkiste durch eine leere zu ersetzen. Mit einem dumpfen Poltern fallen die Zwiebeln jetzt auf das nackte Holz.

Die Grossen auf den Kompost

Die Arbeiter sprechen kaum. Als wären sie im Geiste ganz woanders, stehen sie am Band, nehmen Steine und verletzte Zwiebeln weg und lassen die anderen weiterfahren und in die Kiste plumpsen. Dann, auf einmal, ist das Zwiebelsortieren zu Ende. Die meisten Arbeiter gehen durch die Tür ins Freie. Gola bringt die Zwiebeln weg. Dann heisst er einen mit einer Handbewegung mitzukommen und sagt: «Gurken sortieren.»

Ein Kunde hat Gurken bestellt, um Essiggurken zu machen. Zu grosse Gurken müssen deshalb raus aus der Kiste. Sie kommen auf den Kompost. Dann fährt Gola wieder mit dem Gabelstapler umher und belädt einen Lieferwagen. Wenig später braust er über die Betonsträsschen zwischen den Gemüsefeldern. Der Föhn und der Regen trügen heute einen Kampf aus, sagt der Wetterfrosch am Radio. Im Seeland hat der Föhn längst aufgegeben. Gola hat die Scheibenwischer auf die höchste Stufe gestellt, und immer wieder lassen die Reifen beachtliche Fontänen zur Seite wegspritzen, wenn sie durch braune Pfützen rollen. Eine Lieferung geht an die Fenaco, zu der etwa die Landi gehört, eine weitere an einen Gemüsehändler bei Kerzers. Dann kehrt Gola nach Ins zurück.

Er geht in eine Halle, deutet in eine Ecke, in der ein Regenschutz liegt, und sagt: «Gummi.» Eine kurze Autofahrt später stapft er durch ein Meer von Salatblättern. Es riecht nach Kohl. Weiter vorne bilden Golas Kollegen, die nach dem Sortieren der Zwiebeln verschwunden sind, eine Art Frontlinie. Sie knien auf dem Boden und ernten Chinakohl. Vor ihnen stehen die Kohlköpfe, schier endlos erstreckt sich das Feld. Hinter ihnen liegen die Blätter, die nach dem Rüsten übrig bleiben, und die Kohlköpfe, die nicht in die Kiste kommen, weil sie angefault oder zu klein sind.

Wie grüne Zwerge:
Die Erntehelfer im Feld.

Stanislaw Gola ist
einer von ihnen.

Arbeitsgerät ist
der Küchenschnitzer.

Ernten mit dem Küchenschnitzer

In ihrem Regenschutz im Salat kniend, sehen die Erntehelfer aus wie grüne Zwerge. Füsse und Unterschenkel versinken in der Blätterschicht, die hochgezogenen Kapuzen laufen spitz zu. Der Regen macht gerade eine Pause, doch die dunklen, tief hängenden Wolken kündigen an, dass es bald weiterregnen wird. Niemand sagt ein Wort.

Wortlos macht auch Gola sich an die Arbeit. Er holt leere Kisten vom Anhänger, der mitten auf dem Feld steht, und verteilt sie auf der Kohlbahn, die er gleich ernten will. Er kniet sich hin und zeigt, wie man es macht. Das Werkzeug der Erntehelfer ist ein Küchenschnitzer. Mit der Linken greift er den Chinakohlkopf und drückt ihn zur Seite. Mit der Rechten sticht er das Messer hinein, nicht ganz zuunterst, sodass die äussersten Blätter am Stiel bleiben.

Hurtig entfernt er weitere Blätter, bis er einen Chinakohl in der Hand hält, der genauso aussieht wie der, den man in der Migros kaufen kann. Er legt ihn in die Kiste und sticht das Messer in die nächste Pflanze.

Dann lässt er einen selbst Hand anlegen. Zwei, drei Mal schüttelt Gola den Kopf, weil man einen zu kleinen Chinakohl in die Kiste legen will. Doch nach fünf Minuten kommt die Routine. Abschneiden, rüsten, in die Kiste. Abschneiden, rüsten, in die Kiste. Es beginnt wieder zu regnen.

Die Sandwiches stellt der Chef.

Der Traktor bietet etwas Schutz vor dem Regen.

Die grünen Kisten
sind omnipräsent.

Nach dem Chinakohl der Chabis

Nach einiger Zeit (wie lange man schon auf dem Feld ist, ist schwer zu sagen) steht Gola auf und sagt: «Essen». Auch seine Kollegen stapfen nun durch das Blättermeer zum Anhänger, auf dem der Bäcker eine Kiste mit Sandwiches deponiert hat, die Lorenz Gutknecht seinen Mitarbeitern jeden Tag offeriert. Man muss schnell essen, wenn das Brot nicht völlig durchnässt sein soll.

Einer der Arbeiter nimmt sich trotzdem die Zeit, seine Mahlzeit etwas aufzumotzen: Er hat eine Zwiebel mitgebracht, von der er nun dicke Scheiben abschneidet und in sein Sandwich legt. Schweigend stehen die Männer am Anhänger und kauen das Brot. Einige setzen sich für ein paar Minuten in die Kabine des Traktors.

Dann gehen alle wieder an die Arbeit. Bald ist die Chinakohl-Ernte für heute zu Ende. Gola und seine Kollegen tragen die vollen Kisten zum Anhänger, auf dem sie einer entgegennimmt und zu respektablen Türmen stapelt. Dann fahren die Arbeiter zu einem anderen Feld.
Hier ernten sie Weisskabis. Das ist deutlich anstrengender als die Chinakohl-Ernte. Die Köpfe sind schwer, die Stiele hart. Man muss aufpassen, dass man mit dem Schnitzer nicht abrutscht und sich schneidet. Nach einiger Zeit kommen auch die Weisskabis-Kisten auf einen Anhänger. Dann gehts zurück auf den Hof, es ist Mittag.

Wortlos gehen Gola und seine Kollegen zu ihren Unterkünften. Eineinviertel Stunden haben sie Pause. Dann geht es weiter. Feierabend ist um 18.30 Uhr.

«Wären sie nicht zufrieden, wären sie nicht so lange hier»

Er würde auch Schweizer einstellen, sagt Gemüsebauer Lorenz Gutknecht. Doch die Wenigen, die es bei seinen Kollegen versucht hätten, seien nach wenigen Stunden wieder weg gewesen.

Herr Gutknecht, wie viel verdienen Ihre Erntehelfer?
Anfangs bekommen sie 3210 Franken im Monat, nach einigen Jahren dann deutlich mehr. Das ist mehr, als ich ihnen laut Normalarbeitsvertrag auszahlen müsste.

Ist das auch mehr, als die Konkurrenz zahlt?
Ich weiss nicht, wie viel die Konkurrenz zahlt. Aber wenn es anderswo mehr gäbe, würden meine Mitarbeiter nicht so lange für mich arbeiten.

Wie viel müssen sie fürs Wohnen zahlen?
345 Franken pro Monat.

Bei Ihnen auf dem Hof fällt der Unterschied ins Auge zwischen dem Haus, in dem Sie mit Ihrer Familie leben, und den Containern, in denen Ihre Erntehelfer leben.
Das Wort «Container» höre ich nicht gerne in diesem Zusammenhang.

Die Dinger, die Sie in der Lagerhalle aufeinandergestapelt haben, heissen aber Container.
Da haben Sie recht. Meine langjährigen Erntehelfer leben in Studios, aber ja, einige leben auch in Zimmern in den Containern. Ich sehe daran nichts Verwerfliches. Ich gehe davon aus, dass Ihr Chef auch anders wohnt als Sie. Hinzu kommt: Meine Mitarbeiter haben in Polen alle ihr eigenes Haus. Sie leben dort deutlich besser als viele Landsleute. Hier sind sie zum Arbeiten und Geldverdienen. Wenn sie wollten, könnten sie sich auch im Dorf eine Wohnung nehmen, aber das wollen sie nicht.

Apropos Dorf: Gehen Ihre Mitarbeiter weg, wenn sie frei haben, oder bleiben Sie immer auf dem Hof?
Sie sind alle mit dem Auto hier und haben ihre Kontakte in der Schweiz. Das Rössli in Ins wird von einer Polin geführt, dort gehen sie ab und zu hin.

Gibt es auch solche, die sieben Tage die Woche auf dem Hof sind?
Das weiss ich nicht, ich mische mich nicht ins Privatleben meiner Mitarbeiter ein. Ich habe den Eindruck, dass sie es untereinander gut haben. Am Wochenende grillieren sie manchmal zusammen.

Ich habe die Stimmung auf dem Feld als eher bedrückt wahrgenommen. Haben Sie den Eindruck, Ihre Mitarbeiter seien zufrieden?
Wenn sie nicht zufrieden wären, würden sie nicht so lange bei mir arbeiten. Wenn einer nicht mehr hier arbeiten will, kann er mir sagen: «Chef, ich bin morgen weg.» Das wäre kein Problem für mich. Heute ist auch nicht ein repräsentativer Tag – es regnet, und die Mitarbeiter fühlten sich vielleicht ein bisschen beobachtet von Ihnen. Oft geht es ausgesprochen lustig zu und her auf dem Feld.

Wie rekrutieren Sie Ihre Erntehelfer?
Manchmal bekomme ich von denen, die schon da sind, jemanden empfohlen. Und sonst über den bernischen Bauernverband.

Treffen Sie sich mit ihnen, bevor sie anfangen?
Nein. Die kommen einfach und werden dann von den anderen eingearbeitet.

Kennen Sie Ihre 15 Erntehelfer alle mit Gesicht und Namen?
Ich kenne alle zumindest mit Vornamen.

Ist es Zufall, dass alle aus demselben Land kommen?
Nein, das ist Absicht. Ich will, dass sie sich verständigen können und es gut haben untereinander.

Geht es nach dem Bundesrat, soll der geplante Vorrang für Schweizer Arbeitslose auch bei Erntehelfern gelten. Wie wäre das für Sie?
Ich bin da offen. Wenn sich jemand bei mir vorstellen will, kann er das gerne tun. Aber die Erfahrung zeigt, dass es in der Regel nicht funktioniert. Von Branchenkollegen weiss ich, dass die wenigen Schweizer, die es versuchen, nach wenigen Stunden wieder weg sind.amo



Lorenz Gutknecht, Gemüsebauer

Text: Adrian M. Moser
Bilder: Adrian Moser
Umsetzung: Christian Zellweger

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