Ein Brenntag mit der alten «Schnapsi»

Kulinarisches Handwerk

Auf einem über 100-jährigen Destillierapparat brennt Alfons Schafer noch heute  nach alter Manier Hochprozentiges. Wenn er seine «Schnapsi» einheizt und loslegt, wird aus Früchten aller Art edler Schnaps – und aus Bier auch schon mal ein feiner Bierbrand.

Text: Christian Wüthrich
Bilder: Balz Murer
Realisation: Michael Caplazi


Das altehrwürdige Gerät schnaubt und raucht, wenn es zum Leben erweckt wird. Und wenn der Rüdlinger Brennmeister Alfons Schafer zwischendurch den Überdruck aus dem Destillierapparat entweichen lässt, zischt es ganz gehörig. Heraus kommt aber nicht nur heisse Luft, sondern am Ende edle Eigenbrände.

Doch bis so ein hochprozentiges Destillat trinkfertig in Flaschen abgefüllt ist, braucht es enorm viel Arbeit. «Das Brennen zieht sich meistens einen ganzen Tag lang hin», sagt Schafer. So schuftet der 73-Jährige schon mal zwölf Stunden am Stück für seine Passion. Meistens nicht allein irgendwo in einer Scheune, sondern beäugt von staunenden Passanten. Denn wo immer der bärtige Senior mit seinem Bührer-Traktor und der «Schnapsi» auftaucht, bleibt er nie lange allein. Die antike Störbrennerei war vor über 100 Jahren einst als Teil eines Pferdefuhrwerks konzipiert worden. Auf dem grossen Kühlkessel prangt in alten Lettern «M.G. Rüdlingen 1915». M.G. steht für Maschinengenossenschaft, aber die gibts nicht mehr – den historischen Brennapparat aber sehr wohl noch. Nach seiner Pensionierung wandte Schafer 2007 ein ganzes Jahr für die Restaurierung dieses Zeitzeugen auf. Zum Dank hat ihm die Gemeinde das seltene Exemplar auf Lebzeiten als Leihgabe überlassen.

Alfons Schafer erzählt über die Anfänge der Liebschaft mit seiner «Schnapsi».

Früher ging es meist auf nahe gelegene Höfe und in die umliegenden Weiler, heute öfter an einen Kulturanlass oder auf ein Dorffest in der Umgebung. Schmunzelnd meint Schafer: «Am anstrengendsten beim Brennen ist jeweils das ‹Schnurre›».

An diesem nebligen Herbstmorgen hat Schafer die dampfende Destillerie hinter seinem schmucken Bührer-Traktor mit Jahrgang 1956 auf dem Vorplatz des Gasthofs zum Steinenkreuz in Rüdlingen gezogen. Hier gilts nun ernst. Als Ausgangsmaterial zum Brennen verwendet er für einmal keine vergorenen Früchte, sondern ganz einfach Bier. Daraus soll nun ein Bierbrand werden. Sobald das lange Rohr des Kamins montiert ist und alle Utensilien an ihrem Platz befestigt sind, heizt der Fachmann den Brennofen ein. 

Auf einer Plakette eingraviert erkennt man bei genauerem Hinsehen «SH 018». Es ist die Zulassungsnummer von anno dazumal – kein unwichtiges Detail, sondern die offizielle Registratur. Denn in der Alkoholproduktion ist hierzulande noch immer alles sehr strikt reguliert. Damit der Rüdlinger Brennmeister heute überhaupt ans Schnapsbrennen denken darf, musste er seine Absicht vorgängig bei der Eidgenössischen Zollverwaltung anmelden. Wer schwarzbrennt, muss mit harten Strafen rechnen. «Die nehmen das sehr ernst», weiss Schafer. Als er bei der Renovation eine Plombe unerlaubt entfernte, sei ihm daraus fast ein Strick gedreht worden. Schliesslich sei er gerade noch davongekommen. Andere wurden für ähnliche Vergehen schon mit mehreren Tausend Franken gebüsst.  

In einer blauen Kunststofftonne stehen die 60 Liter Malzgebräu bereit. Mit einem alten Kupferschöpfer giesst Schafer das Bier nach und nach in de Brennbehälter. Im darunterliegenden Ofen knistert das Feuer. Jetzt heisst es abwarten, bis genügend Hitze in der von einem Wasserbad umgebenen Brennblase entsteht. Geduld ist gefragt. Dabei gilt es den Vorgang im Auge zu behalten und bereit zu sein.  

Damit er überhaupt selber brennen darf, musste der gebürtige Zürcher, dessen Eltern beide aus Kloten stammen, 2008 einen Lehrgang absolvieren. Das brachte dem Pensionär die benötigte Brennlizenz ein. Als Lehrmeister fungierte ein professioneller Brennmeister der Brennerei Zimmerli in Hallau. Vor seiner Pension hatte der gelernte Flugzeugmechaniker nie Schnaps gebrannt. Für die damalige Swissair-Tocher SR-Technics flog er stattdessen um die ganze Welt und stand auf fast allen Kontinenten für die Luftfahrt im Einsatz.

«Am anstrengendsten beim Brennen ist jeweils das ‹Schnurre›.»

Alfons Schafer, Schaubrenner aus Rüdlingen

Im Ausgussrohr schwimmt die Alkoholspindel und zeigt die Anzahl Volumenprozente des Destillats.

Im Ausgussrohr schwimmt die Alkoholspindel und zeigt die Anzahl Volumenprozente des Destillats.

Allmählich hat die Hitze das Brenngut genügend erhitzt. Der Pegel im Ausgussrohr steigt, und ein dünnes Bächlein einer hellen, aber trüben Flüssigkeit ergiesst sich über den Rand des Kupferschnabels in einen darunter platzierten Eimer. «Das ist der Rohbrand – oder Lutterbrand», sagt der Chef. Das Aroma testet er mit dem Zeigfinger, in dem er ihn kurz unter dem Strahl hält und dann abschleckt.

Beim Brennen macht sich Schafer ein altes Naturgesetz zunutze. Denn Alkohol weist eine Siedetemperatur von lediglich 78,3 °Grad Celsius auf, Wasser verdampft bekanntlich erst bei 100 °Grad Celsius. Beim Erhitzen trennt man den Alkohol samt Aromastoffen vom Rest des Brenngutes. Da sich allerdings schon vor dem Siedepunkt des Alkohols bereits andere, teils giftige Stoffe wie Aceton verflüchtigen, muss der Brennmeister stets auf der Hut sein. Schafer erklärt: «Beim Brennen entsteht immer ein Vorlauf, ein Mittellauf und ein Nachlauf.» Die Herausforderung für ihn besteht nun darin, das «Herzstück» zum richtigen Zeitpunkt vom Vor- und Nachlauf zu trennen. Denn der Mittellauf wird weiterverarbeitet.

10 Liter Bierbrand gemacht

Eine Alkoholspindel zeigt die Volumenprozente an. Sie schwimmt aufrecht stehend im Ausgussrohr unter dem Kühltank. Je tiefer der gläserne Stab im Destillat einsinkt, desto höher liegt der Alkoholgehalt. Der Rohbrand oder eben Lutter kommt danach in die obere Hälfte der Brennblase, den Lutterhafen. Denn der Brennvorgang wird wiederholt. So entsteht der Feinbrand, auch Häfelibrand genannt. Aus den 60 Litern Ausgangsmaterial sind bis zum Abend rund 10 Liter Bierbrand mit 40 Volumenprozent Alkohol entstanden. Auch das wird fein säuberlich notiert und den Zollbehörden gemeldet.

«Ich mache das nur als Hobby», sagt Schafer. Den Grossen der Branche wie Fassbind, Etter oder Zimmerli macht die alte «Schnapsi» von Rüdlingen keine Konkurrenz. Zwar könne auch er fast alles brennen. Nebst Kernobst, Kirschen und Zwetschgen erzählt er von Holunder, Quitten und Mirabellen. Wichtigste Voraussetzung: «Das Ausgangsmaterial muss vollständig vergoren sein.»

Diese Brennsaison neigt sich dem Ende zu. Ausgangsmaterial hat Schafer noch für manch einen Brenntag. Im Depot der «Schnapsi» lagern noch viele blaue Kunststofffässer mit gärenden Früchten. Aber dazwischen wartet sein nächstes grosses Projekt: die Restaurierung eines Ford T-Modells von 1914.

Das Tagewerk ist geschafft. Aus 60 Litern Bier sind 10 Liter Bierbrand geworden.

Das Tagewerk ist geschafft. Aus 60 Litern Bier sind 10 Liter Bierbrand geworden.

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