Der ewige Traum von den perfekten Darts

Während in London die besten Dartspieler der Welt bejubelt werden, üben die Spieler des Dart Club Bern in aller Ruhe.

Toc. Toctoctoc. Toc. Toctoc. Ununterbrochen dieses dumpfe Klopfen. Immer wieder begleitet von kurzen Schwirr- und Klackgeräuschen. Diese entstehen, wenn ein Pfeil so nahe bei einem anderen einschlägt, dass sich die Stabilisierungsflossen, die Flyer, berühren und die Pfeilschäfte aufeinanderprallen.

Es ist Montagabend. Gegen zwanzig Mitglieder des Dart Club Bern haben sich im Clublokal im Bernapark in Stettlen eingefunden. Sieben Zielscheiben hängen an der einen Wand des lang gezogenen Kellers, drei an der gegenüberliegenden. Ein runder Holztisch mit sicher über drei Metern Durchmesser und über einem Dutzend Stühlen ringsum dominiert den Raum.

An jeder der sieben Zielscheiben spielen zwei Personen. Vor jeder Scheibe wiederholt sich unablässig der immer gleiche Ablauf: Drei Pfeile werfen. Zur Zielscheibe schreiten. Pfeile herausziehen. Das Resultat auf der Tafel notieren, die sich neben der Scheibe befindet. Seitlich zurückgehen bis hinter den Rücken des Gegners, der nun an der Reihe ist. Die Stimmung hat etwas Meditatives. Kaum einer spricht. Ab und zu hört man ein Husten oder ein enttäuschtes Schnauben. Im Hintergrund läuft leise Musik.

«Dann fühle ich mich wie in einem Tunnel und sehe nur noch das Brett.» – Jvan Schild

«Spieler jagen sich übers Brett»

Frans de Vries bewegt sich hinter den Spielern hin und her und beobachtet sie. Er ist Kassier und Coach des Dart Club Bern und organisiert das Training. Als früherer Spitzenspieler kann er beratend zur Seite stehen, wenn es bei einem gar nicht läuft. «Ich habe das meiste aus Niederlagen gelernt», sagt er.

Während einer halben Stunde werfen die Spieler ihre Pfeile nun schon auf den äusseren Ring. Dort zählen die Werte doppelt. Dieser Wurf ist wichtig, weil im Wettkampf ein Spiel nur mit einem «Doppel-Treffer» abgeschlossen werden kann. «Die Spieler jagen sich übers Brett», sagt De Vries. Sie versuchen, sich gegenseitig mit Doppelwürfen in Schach zu halten. Erst wenn einer das Doppelfeld verfehlt, darf der andere Punkte abbuchen – so lange, bis sein Gegner wieder ein Doppelfeld trifft. Nach einigen Minuten hört man einen Spieler «Check» rufen. Das ist das Zeichen dafür, dass er die anfänglichen 501 Punkte getilgt hat. Bei jedem «Check» wandert einer der Spieler zur nächsten Zielscheibe weiter.

«Wunderbarer Ausgleich»

Jvan Schild trainiert auf der anderen Seite des Raums allein. Nach über zehn Jahren Unterbruch hat er kürzlich wieder angefangen. «Ich habe gemerkt, dass mir etwas fehlt», sagt er. Er arbeite täglich am Computer. Dartspielen sei für ihn ein «wunderbarer Ausgleich zum Job», gar eine «Wohltat». Manchmal gelinge es ihm, ein besonderes Gefühl aufzubauen. «Dann fühle ich mich wie in einem Tunnel und sehe nur noch das Brett.»

Schild wirft seine Pfeile auf die «Triple 20». Immer wieder. Die «Triple 20» ist das Feld im inneren Ring des 20er-Sektors, dreissig Millimeter breit, acht Millimeter hoch. Wenn es schwirrt und klackt und die drei Pfeile im «Triple 20» stecken, empfinde er Freude. Dann hat er mit drei Pfeilen 180 Punkte erzielt und «drei perfekte Darts» geworfen.

Frenetischer Jubel bei einer 180

Die «Triple 20» ist das am häufigsten angespielte Feld. Es verspricht am meisten Punkte, mehr noch als das Zentrum der Scheibe, das Bullseye, das Auge des Bullen. Gelingt einem Spieler in einem Wettkampf eine 180, wird das vom Publikum frenetisch bejubelt – so wie derzeit im Londoner «Ally Pally», wo die Profis bis am 2. Januar ihre Weltmeisterschaft austragen.

Im Training eine 180 zu werfen, sei das eine, sagt Frans de Vries. In einem Wettkampf sei es unvergleichlich schwieriger. Das «Mentale» sei beim Dartspielen der absolut wichtigste Faktor, «die Nerven machen 80 bis 90 Prozent aus». Gute Spieler seien in der Lage, in entscheidenden Phasen eines Spiels die wichtigen Punkte zu holen. Wenn er WM-Partien verfolge, staune er, wie es den Profis gelinge, in einem Hexenkessel mit 2500 tobenden Zuschauern konzentriert zu bleiben.

Dabei sind drei perfekte Darts noch längst nicht alles. Das Nonplusultra im Dartsport ist der sogenannte Ninedarter, neun perfekte Darts, also das perfekte Spiel. So viele Pfeile sind mindestens nötig, um von 501 Punkten auf null zu gelangen. Der klassische Ninedarter besteht aus sieben «Triple 20», einer «Triple 19» und einer «Doppel 12»

Ninedarter sind seltene Ereignisse, selbst bei den Profis. In der Schweiz konnten an Wettkämpfen erst deren zwei verzeichnet werden. Im Dart Club Bern war das perfekte Spiel laut De Vries noch nie zu sehen. Sein persönlicher Rekord liege bei elf Darts. Im Durchschnitt benötige ein Clubspieler rund zwei Dutzend Würfe, um die 501 Punkte abzuarbeiten. «Jeder Dartspieler träumt vom Ninedarter – ich auch», sagt De Vries.

Dart Club Bern Vom Pub in den Bernapark

Das aus England stammende Dartspiel wurde in Bern mit der Eröffnung des ersten Pubs bekannt. Im Jahr 1973 formierte sich der «Mr. Pickwick Darts Club», aus dem der heutige Dart Club Bern hervorging. 1993 zogen die Berner Dartspieler nach Stettlen um, wo sie in der Deisswiler Kartonfabrik, dem heutigen Bernapark, das ehemalige Öllager in ein Trainings- und Clublokal umbauen konnten.

Derzeit zählt der DC Bern 59 Mitglieder, davon sind 32 aktiv, 31 Männer und eine Frau. Gesamtschweizerisch sind etwa 500 Spieler lizenziert. Die Frauenquote liegt bei rund acht Prozent. Im Kanton Bern gibt es drei weitere Dartclubs: Den Dart Club Chillout Dragons in Safnern, den Dart Club Lauterbrunnen und den Dart Club Uetendorf – Letzterer nimmt aber nicht an der Meisterschaft teil.

Nebst den sogenannten Steeldartvereinen, wo mit klassischen Pfeilen geworfen wird, gibt es eine grosse Anzahl von E-Dart-Clubs. Beim Electronic Dart haben die Pfeile stumpfe Kunststoffspitzen. Geworfen wird auf einen Dart-Automaten, der die Resultate automatisch zusammenzählt.

Der DC Bern unterhält drei Mannschaften. Die A-Mannschaft gewann letztes Jahr den Meistertitel. Von den C-Mannschaften kämpft die eine demnächst um den Aufstieg in die B-Liga. Eine Zeit lang habe der DC Bern unter Mitgliederschwund gelitten, sagt Coach Frans de Vries. In letzter Zeit habe die Mitgliederzahl aber wieder zugenommen, «so sehr, dass wir manchmal volles Haus haben». Er führt die Trendwende darauf zurück, dass der Dartsport von Fernsehsendern auf immer attraktivere Weise in Szene gesetzt wird.

Dart gehört nicht zu den teuersten Sportarten. Eine gute Zielscheibe und ordentliche Pfeile sind für je rund 100 Franken erhältlich. Empfehlenswert ist ein breiter Ring aus Schaumstoff, der sich um das Brett legen lässt. Damit wird die Wand geschont. Und: Wenn ein Spieler die Scheibe verfehlt, hört das nicht gleich jeder. Bei Anfängern sei das wichtig, sagt De Vries. «Es soll ja niemand blossgestellt werden.» (db)

Marcel Walpen nimmt die Zielscheibe in den Blick.

Der Wurf erfolgt fast ausschliesslich aus dem Arm heraus.

Auf dem Weg zur Perfektion

Und auch Lars Asmussen. Er ist die Nummer 1 der Region Bern und derzeit die Nummer 9 der Schweiz. Früher habe er zwei bis vier Stunden pro Tag trainiert, sagt der 46-jährige Lagerist. «Heute lebe ich mehr von der Routine.» Sein Rekord liegt ebenfalls bei elf Darts. Als er von seinem Rekordspiel erzählt, wird klar, worin das Problem des Ninedarters besteht: Je weiter ein Spieler auf dem Weg zum perfekten Spiel fortschreitet, desto schwieriger wird es. Nach sechs perfekten Darts habe sein Herz so stark gepocht, sagt Asmussen, «dass ich es im Hals gespürt habe».

Das Schwierige beim Dartspielen sei, konstant gute Leistungen zu zeigen. Zwei, drei Legs auf hohem Niveau, also Durchgänge von 501 Punkten auf null hinunter, gelängen ihm regelmässig, sagt Asmussen. Dann folge leider oft ein Einbruch. Manchmal träume er davon, so gut zu sein wie ein Profi. Ein Trost bleibt ihm. Profis trainieren täglich mehrere Stunden und können sich ganz auf ihren Sport konzentrieren.

Um an die Spitze vorzustossen, sei ein unglaublich grosser Aufwand nötig, sagt Frans de Vries. Ausserdem sei es in den letzten Jahren ganz oben immer enger geworden. Wer die nötigen Punkte sammeln wolle, um an den wichtigen Turnieren mitmachen zu dürfen, müsse rund 40 Wochenenden pro Jahr investieren. «Für jemanden, der Beruf und Familie hat, ist das nicht ganz einfach», sagt er. Das ist aus seiner Sicht der Grund, warum es derzeit keinen einzigen Schweizer Spieler gibt, der an der Weltmeisterschaft dabei ist.

Schwung aus dem Arm

Nun trainiert auch Lars Asmussen noch ein wenig alleine an einem Brett. Auch er sucht die «Triple 20» – und findet sie regelmässig. Der Abwurf erfolgt immer haargenau gleich. Der Körper bewegt sich kaum, der ganze Schwung kommt allein aus dem Arm. Toc, toc, toc. Asmussen begibt sich zur Zielscheibe. Selbst wenn nicht alle drei Pfeile im gleichen Feld stecken: Sie befinden sich immer ganz nahe beieinander. Um sie aus dem Brett zu ziehen, reicht ihm ein einziger Griff.

Die Besten der Besten an der WM

Bis am 2. Januar wird in London im Alexandra Palace, im «Ally Pally», die Darts-WM der Profis ausgetragen. Begonnen hat der Anlass Mitte Dezember. Die Matches, die vor einem begeisterten Publikum ausgetragen werden, verlaufen ähnlich wie Tennisspiele. Um zu gewinnen, muss ein Spieler eine bestimmte Anzahl Sätze für sich entscheiden. Ein Satz geht an jenen Spieler, der zuerst drei Legs gewinnt. Jedes Leg (Umgang) beginnt bei 501 Punkten. Der Spieler, der die Punkte zuerst bis auf null «abgearbeitet» hat, kann sich das Leg gutschreiben. Wichtige Bedingung: Ein Leg muss mit einem Wurf in den äusseren «Doppel»-Ring abgeschlossen werden. Wer also noch 6 Punkte und einen Pfeil übrig hat, muss die «Doppel 3» treffen. (db)

Text, Video: Dölf Barben
Umsetzung: Marina Stalder
Bilder: Adrian Moser

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