Viel Lärm um kleine Schritte

Unterwegs vom Ostring bis zum Eigerplatz.

Verkehr produziert Lärm – ebenso die Debatten dazu im Berner Stadtrat.

Doch der Spielraum rot-grüner Politik ist trotz klarer Mehrheiten begrenzt.

Ein Augenschein auf einer Hauptverkehrsachse.

Der Freudenbergerplatz im Berner Ostring ist ein trister Ort. Überspannt vom Autobahnviadukt, umflossen von der Blechlawine der Autos, die von oder zur Autobahn A6 fahren. Die Bäume in der Tramwendeschlaufe wirken verloren. Hierher kommt man nur wegen dem 7er-Tram. Kaum ist ein Tram abgefahren, ist der Platz menschenleer.

Ueli Mühlemann wohnt seit einem Vierteljahrhundert im Quartier. Der Verkehr sei massiv, sagt er, doch er leide nicht darunter. «Wenn man an einer Autobahnzufahrt wohnt, dann gehört das dazu.» Hier verläuft die Autobahn mitten durch Wohnquartiere. Zwar soll sie, da ist man sich für einmal in der Stadtpolitik einig, weiter östlich in einen Tunnel verlegt werden. Doch dieser «Bypass» ist sehr teuer. Gebaut wird er, wenn der Bund dafür die Mittel aufbringt – frühestens 2029.

Lärmige Grundsatzdebatte

Doch im Ostring beginnt auch eine städtischen Hauptverkehrsachse: via Burgernziel, Thunplatz, Monbijoubrücke zum Eigerplatz (siehe Karte). Über 17'000 Motorfahrzeuge verkehren hier im Tagesdurchschnitt – so viele wie am Gotthard. Diese Strassenachse liegt in der Verantwortung der Stadt, entsprechend heftig wird darüber gestritten.

Über 17'000 Motorfahrzeuge verkehren hier im Tagesdurchschnitt.

So in der Stadtratsdebatte vom 13. August 2015 über das Grossprojekt Sanierung Thunplatz-Ostring. Dass eine solche nötig ist, war unbestritten – nicht so die konkrete Ausgestaltung. Die rot-grüne Seite forderte erfolgreich mehr Raum für Velos: Velostreifen von anderthalb Metern Breite auf beiden Strassenseiten. Für den Autoverkehr machte sich – ohne Erfolg – die Ratsrechte um SVP und FDP stark: Der Strassenabschnitt müsse so gestaltet sein, dass künftig 30 Prozent mehr Autos flüssig verkehren könnten. Auf der äussersten Linken forderte die GPB-DA, dass auf gar keinen Fall Alleebäume gefällt werden dürfen.

Die Debatte verlief erregt und teilweise giftig, was im polarisierten Stadtrat oft der Fall ist. Die Abstimmung über den Projektierungskredit zeigte klare Fronten. Mit 43 zu 30 Stimmen siegten die Parteien des Rot-Grün-Mitte-Bündnisses. Sie wurden – wie meist bei Umweltthemen – von Grünliberalen und EVP unterstützt. Das Nein-Lager bestand aus der Ratsrechten und der äussersten Linken – zu der sich in diesem Fall die bürgerlichen Mitteparteien BDP und CVP gesellten.

Die Debatte verlief erregt und teilweise giftig.

Begrenzter Spielraum

Dass sichere Velospuren geplant sind, ist ganz im Sinne von Perrine Probst. Die kaufmännische Angestellte arbeitet seit zehn Jahren im Ostring und ist oft mit dem Velo unterwegs. «Man muss sehr aufpassen, es ist recht hektisch, vor allem zu den Stosszeiten», sagt sie. «Man muss achtsam sein.»

Trotz der grün orientierten Mehrheit im Stadtrat haben allerdings auch die Autofahrer gewichtige Fürsprecher. Das Bundesamt für Strassen, der Kanton und die Nachbargemeinde Muri erhoben Einsprache, weil sie Rückstaus befürchteten. Die Stadt musste mit neuen Berechnungen nachweisen, dass sie den Autoverkehr mit dem geplanten neuen Verkehrsregime bewältigen kann. Man hat sich erst kürzlich geeinigt.

Herzstück des Sanierungsprojekts ist das Burgernziel. Der zweispurige Kreisel ist unfallträchtig und soll durch eine Kreuzung mit Ampeln ersetzt werden. Zu den Spitzenzeiten kann deshalb künftig weniger Verkehr über das Burgernziel geleitet werden. Der Verkehr wird mit den Ampeln dosiert und teilweise auch kurz gestaut.

Erwartet werden zehn Prozent mehr Autos bis 2030.

Umgestalteter Platz

Verkehrspolitik ist auch Stadtgestaltung. Mit der neuen Kreuzung am Burgernziel wird das Tramhäuschen verschwinden, wie der Gemeinderat soeben beschlossen hat. Sedat Yildirim betreibt den Kiosk im Tramhäuschen. Dieser sei, gerade abends, als Treffpunkt wichtig für die Quartierbevölkerung, betont er. Das anerkennt auch die Stadtregierung. Ein neuer Kiosk soll deshalb in der geplanten Wohnüberbauung auf dem Areal des alten Tramdepots einquartiert werden,
die das Volk 2015 gutgeheissen hat.

Verkehrspolitisch kaum umstritten – aber vielleicht wegweisend – ist eine neue Buslinie, die ab 2018 vom Europaplatz via Monbijoubrücke zur Brunnadernstrasse verkehren soll. Sie ergänzt die Linie 28, die bereits heute über die Brücke fährt. Beides sind Tangentiallinien. Sie verkehren durch die Aussenquartiere und entlasten so die ÖV-Achse via Hauptbahnhof und Innenstadt.

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Das sagen Anwohner und Passanten

Streit um Tramprojekt, Autos und Velooffensive

Auf den ÖV und das Velo setzt das Rot-Grün-Mitte-Bündnis – oft unterstützt von diversen Mitteparteien. Die Rechte opponiert – nicht selten gemeinsam mit Linksaussen.

Harte Fronten und ein heftiger Abstimmungskampf prägten die einzige Volksabstimmung zur Verkehrspolitik, die seit den letzten Wahlen in der Stadt Bern stattfand: jene über das Projekt Tram Region Bern am 28. September 2014. Die Parteien des Rot-Grün-Mitte-Bündnisses (RGM) – SP, GB und GFL – erhielten in ihrem Kampf für das 10er-Tram Unterstützung weit über die eigenen Reihen hinaus. Alle Parteien der Mitte-Liste, sowohl die grün (GLP und EVP) wie die bürgerlich orientierten (BDP und CVP), empfahlen ein Ja zur neuen Tramlinie.

Die Rechte (SVP und FDP) sowie Rechtsaussen (EDU und SD) bekämpften das Tram resolut. Der Positionsbezug der Stadtpartei gegen Tram Region Bern war im Freisinn umstritten, prominente kantonale und nationale FDP-Politiker setzten sich für ein Ja ein, ebenso der Jungfreisinn. Auch die drei kleinen Linksparteien GPB-DA, PDA und AL bekämpften das Tramprojekt. Dass die Rechte und Linksaussen Seite an Seite Grossprojekte bekämpfen, kommt oft vor, auch wenn die Motive gegensätzlicher nicht sein könnten. Die kleinen Linksparteien sind wachstumskritisch – FDP und SVP sehen das Wachstum in der rot-grün regierten Stadt in Gefahr. Beide Lager eint jedoch ihre Opposition zu RGM und die Neigung, sich die Anliegen protestierender Anwohnergruppen zu eigen zu machen. Bei der Tramvorlage hatte die vereinigte Opposition in der Stadt Bern keine Chance. Das Volk stimmte mit 61 Prozent Ja-Stimmen zu. Das Projekt scheiterte am Nein der beteiligten Vororte Köniz und Ostermundigen. Nachdem das Volk von Ostermundigen in einem zweiten Anlauf für das Tram votierte, dürfte ein redimensioniertes Tramprojekt zu Beginn der neuen Legislatur lanciert werden.

Velooffensive als neue Priorität

Das zweite dominierende Thema war die Velooffensive der Verkehrsdirektorin Ursula Wyss (SP). Wyss will den Anteil des Veloverkehrs mit einem Paket von Massnahmen, die erst ansatzweise umgesetzt sind, verdoppeln. Was ganz im Sinne der RGM-Parteien ist, stösst bei SVP und FDP auf Opposition. Sie treten dabei als Anwälte der Autofahrer auf – und in jüngster Zeit zunehmend auch als jene der Fussgänger, die sie durch Velofahrer gefährdet sehen. Einen eigenen Akzent setzte die CVP im Wahlkampf, als sie vorschlug, Velowege auf Nebenstrassen einzurichten.

Auf der rot-grünen Seite setzte man sich im Stadtrat mit vielen Vorstössen für Veloanliegen ein. SP und GB versuchten zudem, das illegale Parkieren in der unteren Altstadt zu unterbinden. Das GB nahm einen neuen Anlauf zum Thema Road Pricing und forderte einen Versuch in der Stadt Bern. Im Wahlkampf hat das GB die Forderung erhoben, auch auf den Hauptverkehrsachsen Tempo 30 einzuführen. Bilder und Töne Was Anwohner und
Pendlerinnen zum Verkehr in Bern-Ost sagen.

Text: Simon Thönen
Bilder: Manu Friederich & Franziska Rothenbühler
Umsetzung: Christian Zellweger

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