Das Ringen um den Lebensraum

Was macht Berns Plätze und Strassen lebenswert?

Und wer ist dafür zuständig? Während die einen von mehr «Guerilla-Belebung» träumen...

...pochen die andern auf die Regeln. Ein Rundgang am Stauffacherplatz im Breitenrain und am Loryplatz.

Begonnen hat alles im Frühling 2015, als auf dem Stauffacherplatz im Berner Breitenrainquartier auf einmal aus Europaletten gebastelte Loungesofas standen. Plötzlich war das Plätzchen, das zuvor primär als Hunde-WC gedient hatte, ein Quartiertreffpunkt. Statt nur vorbeizugehen, liessen sich die Leute jetzt nieder – auffallend viele mit einer Glace in der Hand.

Das war kein Zufall. Urheberin der neuen Sitzgelegenheiten war die Gelateria di Berna, die gleich nebenan eine ihrer Filialen betreibt. Man habe den Platz «in einer Guerilla-Aktion umgestaltet», bekannte Geschäftsführer Hansmartin Amrein. Das Problem: Die Bänke waren nicht bewilligt. «Die haben den Platz illegal besetzt, das ist eine Frechheit», motzte der Wirt von nebenan.

Die Stauffacherplatz-Geschichte enthält alle Zutaten für eine schöne Platz-Debatte. Wer darf den öffentlichen Raum wie nutzen? Wer nicht? Ist ein besserer Platz auch dann noch besser, wenn er aus kommerziellen Motiven verbessert wurde? Und muss man sich immer an die Regeln halten?

Gefährliche Eigenbau-Sofas

Im Breitsch war noch am Tag der «Guerilla-Belebung» die Gewerbepolizei auf Platz und beantwortete die letzte Frage klar und deutlich: Man muss. Die Sofas seien zu entfernen, unter anderem weil von ihnen eine Verletzungsgefahr durch Nägel ausgehe. Und auch die mit Erde gefüllten Palettrahmen, die die Gelateria-Betreiber zwecks Urban Gardening aufgestellt hatten, durften nur bis zum Ende der Saison bleiben. Die Stadtgärtnerei aber nahm den Impuls aus dem Quartier auf und ersetzte die Sofas durch offizielle Stadt-Bänkli. Und auch Urban-Gardening-Gelegenheiten hat sie in diesem Jahr selber aufgestellt.


Der Präsident des Leists Bern Nord, Thomas Ingold über den Stauffacherplatz.

Thomas Ingold, der Präsident des Leists Bern Nord, ist zufrieden. «Mich freut die Entwicklung», sagt er. «Es hat die Provokation der Gelateria gebraucht. Dann haben wir mit der Stadt verhandelt, und nun haben wir eine gute Lösung.» Ingold zeigt Verständnis für die Gewerbepolizei: «Die Paletten waren originell, aber es war klar, dass sie nicht bleiben konnten. Regeln sind schliesslich da, um eingehalten zu werden.» Die angeblich gefährlichen Sofas stehen nun auf der anderen Strassenseite an einer Hausmauer. Dort, auf privatem Grund, sind sie erlaubt.

Auf dem öffentlichen Stauffacherplatz «zu gefährlich», auf privatem Grund gleich daneben erlaubt: Die «Guerilla-Bänkli» der Gelateria di Berna.

Mittlerweile hat die Stadt eigene Bänkli aufgestellt...

...und auf dem Platz ein «Urban-Gardening»-Angebot geschaffen.

Lockerere Regeln gefordert

Nicht ganz so uneingeschränkt ist die Freude bei GFL-Stadtrat Manuel C. Widmer. «Es ist schade, dass die private Initiative nicht überlebt hat», sagt er. «Dabei wäre das immer die bessere Lösung, weil man nur zu dem wirklich Sorge trägt, was man selber geschaffen hat.» Widmer hat einen Vorstoss eingereicht, in dem er lockerere Regeln für «temporäre Platzbelebungen» fordert. Unterschrieben haben Politiker von SP bis BDP.

Für einen anderen Platz engagiert sich Widmer noch mehr: den Loryplatz. Anwohner der angrenzenden Strassen beklagen seit Jahren dessen Unbelebtheit. «Im Moment ist es ein reiner Verkehrsplatz», sagt Widmer. «Es gibt zwar schöne Pläne, um das zu ändern. Aber passiert ist bisher nichts.» Unter anderem ist vorgesehen, das Verbindungssträsschen zwischen Köniz- und Schlossstrasse, den sogenannten Bypass, aufzuheben und so mehr Platzfläche zu gewinnen – zum Beispiel für ein Sommercafé. Ausserdem soll dereinst eine Treppe den Platz mit dem Loryspital verbinden, um von dort Leute herunterzulocken.

Die Sonne kriecht gerade hinter den Regenwolken hervor, als Urs Emch über den Loryplatz geht und sagt: «Stellen Sie sich vor: ein Strassencafé unter den Platanen. Das wird ganz anders aussehen als heute.» Emch, ein pensionierter Bauingenieur, sitzt im Vorstand der IG Loryplatz. Der Niedergang, sagt er, habe begonnen, als die Migros ihre Filiale hier geschlossen habe. «Die Leute kamen wegen der Migros auf den Platz. Davon haben auch die anderen Läden profitiert.»


Urs Emch von der IG Loryplatz über das schlummernde Potential des Verkehrsknotenpunktes.

Da ist sie wieder, die Frage: Wer ist zuständig für die Belebung und Gestaltung eines Platzes? Wer muss? Wer darf? Wer nicht? Die GB-Politikerin Rahel Ruch hat sich während ihrer Zeit im Stadtrat immer wieder gegen die «Regulierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums» gewehrt. Auf den Loryplatz angesprochen, sagt sie: «Die Stadt brauchte eine Strategie dazu, wie sie solche Orte gestalten will. Im besten Fall kann sie die Bodenbesitzverhältnisse so gestalten, dass sie auch wirklich etwas zu sagen hat.» Sie räumt aber ein: Auch eine Migros-Filiale kann eine Möglichkeit sein, einen Platz zu beleben.

Der Loryplatz ist ein Verkehrsknotenpunkt.

Doch die Anwohner sehen Potenzial.

Der Zugang zum Insel-Areal soll zum Beispiel geöffnet werden.

Gegen «verordnete Belebung»

Auf der anderen Seite steht der FDP-Stadtrat Bernhard Eicher. Er sagt: «Der Loryplatz ist das beste Beispiel dafür, dass die staatlich verordnete Belebung eines Platzes nicht funktioniert.» Eicher spielt auf das Nutzungskonzept Loryplatz an, das das Stadtplanungsamt im Auftrag des Stadtrats geschrieben hat und das Massnahmen wie die Aufhebung des Bypasses und die Verbindung zum Loryspital vorsieht. «Belebung kommt immer von Privaten», sagt er. «Wenn Sie niemanden haben, der etwas Cooles macht, können Sie so viele Konzepte schreiben, wie Sie wollen, und es passiert trotzdem nichts.»

Im kommenden Jahr könnte es so weit sein. Just in dieser Woche hat der Gemeinderat für die Bypass-Aufhebung einen Kredit von 240 000 Franken gesprochen. Dann braucht es nur noch jemand, der das Sommercafé betreiben möchte. Urs Emch ist zuversichtlich. Es gebe bereits zwei Interessenten, sagt er.

Mediterranisierung der Stadt Bern: Gute Sache oder nur ein «Furz»?

Die Linken wünschen sich eine Stadt Bern mit möglichst vielen «Freiräumen». Die Bürgerlichen möchten Unternehmertum – auch auf öffentlichem Grund.

Die Gestaltung des öffentlichen Raums in der Stadt Bern ist ein Thema mit vielen Facetten. Entsprechend undeutlich verlaufen die Frontlinien durch die Parteienlandschaft. Eine der Grundfragen lautet: Wie viel Kommerz darf es denn sein? Hier reichen die Meinungen von «gar keiner» (links) bis «so viel wie möglich» (rechts). Die Linken sehen die «Freiräume» in Gefahr, von denen es so viele wie möglich brauche. Die Bürgerlichen schätzen das Engagement von privaten, kommerziellen Anbietern. Ihnen macht es auch nichts aus, wenn dafür öffentliche Flächen belegt werden. Besonders beliebte Kampfplätze sind der Bundesplatz, der Bahnhof, die Grosse Schanze und die Innenstadt im Allgemeinen.

Mehr Freiheiten für Wirte

Immer wieder zu Reden gibt die Aussenbestuhlung von Gastrobetrieben. Aufgrund eines SVP-Vorstosses hat der Gemeinderat im vergangenen Jahr die Leitlinien für Wirtschaftsgärten und Mobiliar angepasst. Neu sind Buffets und Baranlagen auf Aussenbewirtschaftungsflächen möglich. Damit könnte auch gelingen, was die GLP seit langem fordert: Ein Beizli auf dem Münsterplatz.

Für die zunehmende Zahl von Möglichkeiten, sich draussen ein Bier oder etwas zu Essen zu genehmigen, gibt es einen Begriff: Mediterranisierung. Reto Nause (CVP), Berns Sicherheitsdirektor und damit zuständig für die Bewilligungen für Gastrobetriebe, ist ein bekennender Freund davon. Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) hingegen hält die Mediterranisierung mit «Palmen in der Kramgasse» für einen «Furz», wie er im vergangenen Jahr an einer Podiumsdiskussion bekannt gab. «Haltet die Plätze frei», lautet stattdessen sein Credo.

Kino und Strand auf der Schanze

Besonders im Sommer gut besetzt war in den vergangenen Jahren auch die Grosse Schanze. Zeitweise belegten mit dem Openair-Kino und dem City Beach gleich zwei kommerzielle Anbieter den Rasen. Die Linken fanden das schlecht, die Bürgerlichen fanden es gut und loben die vertreibende Wirkung, die die Anlässe auf Randständige und Drogendealer gehabt hätten.

Auf dem Bundesplatz gab die Miss-Schweiz-Wahl im sogenannten Swiss Dome 2014 besonders viel zu reden. Zehn Tage lang stand das riesige Zelt auf dem Platz. Die Märit-Leute, die sich anfangs ärgerten, fanden am Ende Gefallen daran, weil sie ihre Stände für einmal drinnen aufstellen konnten. Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) äusserte nach der Miss-Wahl öffentlich ihren Unmut über die Bewilligung für die Veranstaltung. Man müsse über eine Beschränkung von kommerziellen Anlässen auf dem Bundesplatz diskutieren, sagte sie. Reto Nause hingegen wünscht sich auch auf dem Bundesplatz ein Restaurant, damit die Eltern Kaffee trinken können, während die Kinder sich mit dem Wasserspiel vergnügen. (amo)

Text: Adrian M. Moser
Bilder: Franziska Rothenbühler, Manu Friederich
Umsetzung: Christian Zellweger

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