Das kulturpolitische Zepter hat der Kanton in der Hand

Gab es vor der Kulturstrategie eine Kulturpolitik?

Ein Spaziergang auf der Kulturachse.

Wäre es in den letzten Jahren nach dem Willen der Berner Behörden gegangen, gäbe es die sogenannte Kulturachse heute nicht. Sie ist der Inbegriff des lebendigen städtischen Kulturlebens und führt von der Reitschule über die Hodlerstrasse vorbei an Kunstmuseum und Progr zum Stadttheater.

So war einst geplant, das Berner Ballett zu streichen, im Progr war ein Ärztezentrum geplant, und dem Kornhausforum wollte man die Finanzierung streichen. «Es ist dem Engagement zahlreicher Kämpfer zu verdanken, dass der Progr weiterhin ein Atelierhaus ist und die Reitschule Woche für Woche zahlreiche Veranstaltungen durchführt», sagt Bernhard Giger, Leiter des Kornhausforums.



An den Beispielen wird sichtbar, dass in Bern keine klar vorgegebene Kulturpolitik existierte. Entscheide wurden bei starker Kritik wieder rückgängig gemacht. An wem wäre es gewesen, diese Politik festzulegen? Die Leiterin der Abteilung Kultur Stadt Bern, Veronika Schaller, pflegt zu sagen, es sei nicht die Aufgabe der Verwaltung, eine Strategie vorzugeben, sondern jene der Politik.

Wäre es nach dem Willen der Stadt gegangen, gäbe es die Kulturachse nicht.

«Jeder Stadtrat macht Kulturpolitik im Kleinen, aber die grossen Linien hätte Alexander Tschäppät vorgeben müssen», sagt GFL-Stadtrat Manuel C. Widmer. Doch der habe diese Aufgabe in den letzten acht Jahren verschlafen. «Die Kulturpolitik der Stadt bestand in den letzten Jahren darin, niemandem auf die Füsse zu treten und keine unangenehmen Entscheide zu fällen», sagt Widmer. Die kürzlich verabschiedete Kulturstrategie sei nur auf Druck aus der Kulturszene und von Parlamentariern entstanden.

Mehrere für die Stadt wichtige kulturpolitische Entscheide gingen in der Vergangenheit vom Kanton aus, etwa die Zusammenführung von Berner Stadttheater und Symphonieorchester. Auch der Impuls, dass das Kunstmuseum und das Zentrum Paul Klee unter einer Dachstiftung zu führen seien, ging von Regierungsrat Bernhard Pulver aus.

Wenn im Berner Stadtrat über kulturelle Institutionen gestritten wurde, ging es meist um die Reitschule oder das Stadttheater. So sprach sich der Rat 2013 anfangs gegen die Sanierung des Theaters aus. Schliesslich wurde das Geschäft trotzdem durchgewunken, auch vom Stimmvolk – nicht aber von allen Regionsgemeinden. Um kulturpolitische Fragen ging es aber bei beiden Institutionen selten bis nie, sondern um sicherheitspolitische oder organisatorische. Heute ist die Reitschule einer der wichtigsten Ausgangsorte für die Berner Jugendlichen und zieht auch Junge aus der Agglomeration an. Dies auch deshalb, weil es nur wenige Alternativen für sie gibt, wo sie den Abend ohne Konsumzwang verbringen können.


Bei der Reitschule Verweilen ohne Konsumzwang: Zum Beispiel Skater Cedric Hubacher

Die Reitschule...

...ein wichtiger Treffpunkt für die Berner Jugend.

Die Nägeligasse: Hier soll ein neues Jugendzentrum entstehen.

Der Gemeinderat schlug deshalb bereits 2013 im Konzept Nachtleben einen Jugendclub in der ehemaligen Garage der Sanitätspolizei an der Nägeligasse 2 vor. Doch noch immer ist die Garage unbenutzt: Das Betriebskonzept sei noch in Bearbeitung, werde aber voraussichtlich Ende November dem Gemeinderat vorgelegt, sagt Alex Haller, Leiter des Berner Jugendamts. Er rechne mit der Eröffnung nach den Sommerferien 2017, falls es keine Einsprachen gegen das Baugesuch gebe.

Grosse Projekte kamen von aussen

Es war das kantonale Kulturförderungsgesetz, seit Anfang 2013 in Kraft, welches Neuerungen auch für die städtische Kulturförderung brachte. Der Kanton übernimmt seit 2016 die Förderung von Institutionen mit «nationaler Ausstrahlung» – was in der Stadt Bern das Zentrum Paul Klee und das Kunstmuseum betrifft. Dagegen werden Kulturbetriebe von «regionaler Bedeutung» von allen Regionsgemeinden mitfinanziert. «Wir haben von dieser Veränderung profitiert», sagt Schaller.

Die Stadt Bern wurde finanziell deutlich entlastet und konnte 1,4 Millionen Franken zusätzlich in die Kulturförderung fliessen lassen. «Mit diesem Geld haben wir die freie Szene stärker gefördert, den Schwerpunkt Musik gebildet und den neuen Fördertopf Hauptstadtkultur geschaffen», sagt Schaller. Mit Letzterem wurden in diesem Jahr Projekte finanziert, welche für die Stadt kulturell besonders wichtig sind.

«Hinter dem Gesetz liegt eine offene kulturpolitische Haltung», sagt Giger. Diese verdeutliche, dass Kultur alle angehe, egal ob jemand in der Stadt oder in der Region lebe. Weil das Kornhausforum als Institution von regionaler Bedeutung gilt, bekommt Giger Subventionen von Kanton und Gemeinde: «Damit bin ich als Subventionsempfänger nicht mehr von der Laune eines einzelnen Subventionsgebers abhängig.»

Ist es im Interesse der Stadt, das Sagen in der Kulturpolitik dem Kanton zu überlassen? «Nein, am neuen Stadtpräsidenten oder an der Stadtpräsidentin wird es sein, Akzente zu setzen», so Widmer. Mit dem Planungsprozess um die Schützenmatte hat die Stadt die Möglichkeit, die Aufwertung der Berner Kulturachse in die eigene Hand zu nehmen. Stadtplaner des 19. Jahrhunderts hatten die Hodlerstrasse einst als Strasse mit Boulevard-Charakter geplant.


Der Leiter des Kornhausforums, Bernhard Giger, über das kantonale Kulturgesetz

Dem Ärztezentrum entkommen: Der Progr.

Das ehemalige Schulhaus ist ein wichtiger Kulturort.

Die Kulturpolitik ist ein gern gesehener Wahlhelfer

Wer auf das Stadtpräsidium hofft, setzt gerne auf kulturelle Themen. Während der Legislatur wird dagegen weniger darüber gesprochen.

Ist es Wahlkampf, oder woher kommt das plötzlich sehr dringende Bedürfnis, öffentlich über die kulturellen Institutionen der Stadt Bern nachzudenken? Besonders Anwärter auf das Stadtpräsidium bringen in letzter Zeit gerne ihre Ideen für das kulturelle Leben in der Stadt ein. So hat etwa SP-Kandidatin Ursula Wyss im Mai im «Bund» mehr Kunst im öffentlichen Raum gefordert. Sofort wurde ihr von SVP-Stadtrat Alexander Feuz vorgeworfen, sich vor den Wahlen profilieren zu wollen.

Aber auch von bürgerlicher Seite wurden in den letzten Wochen kulturpolitische Ideen vorgetragen. Alexandre Schmidt (FDP) hatte die Idee, die Polizeikaserne am Waisenhausplatz als Standort für den Ausbau des Kunstmuseums zu nutzen. Und CVP-Kandidat Reto Nause sprach sich in einer Anfrage des Dachverbandes der Berner Kulturveranstalter dafür aus, eine zentrale Ticketingstelle für alle Events und eine einzige Agenda zu allen Veranstaltungen zu erstellen.

Dass sich die Berner Stadtpräsidiumskandidaten besonders zu kulturpolitischen Anliegen äussern, kann auch damit zusammenhängen, dass die Kultur-Abteilung der Stadt der Präsidialdirektion unterstellt ist.

SVP-Ideen blieben erfolglos

Während der Legislatur waren mutige kulturpolitische Vorstösse dünn gesät. Es gab jedoch immer wieder Motionen und Postulate zur Reitschule, und diese meist nach Ausschreitungen. So forderte Bernhard Eicher (FDP) nach Farbanschlägen auf die Polizeiwache am Waisenhausplatz und Flaschenwürfe auf Polizisten im Februar 2015 eine temporäre Schliessung.

Auch die SVP blies ohne Erfolg ins gleiche Horn. Stadtrat und Gemeinderat unterschieden meist zwischen den kulturellen Leistungen des Kulturzentrums und den gewalttätigen Vorfällen. Ebenfalls wenig Erfolg hatten kulturpolitische Forderungen der SVP, welche die Förderung von Theaterstücken in Mundart beantragten oder gesetzliche Grundlagen schaffen wollten, um das Musizieren in Bussen und Trams zu verbieten.

Kulturstrategie erarbeitet

Einer der gewichtigeren kulturpolitischen Vorstösse der Legislatur war jener von Christine Michel (GB). Dieser beauftragte 2012 den Gemeinderat mit der Erarbeitung einer neuen Kulturstrategie 2016. Der Rat forderte die Erarbeitung des Papiers in einem partizipativen Prozess. Die neue städtische Kulturstrategie wurde nun letzte Woche vom Gemeinderat vorgestellt.

Text: Sophie Reinhardt
Bild: Adrian Moser, Valérie Chételat, Louis Epelbaum
Umsetzung: Christian Zellweger

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